Der Kongress tanzt in Berlin statt in Wien

Es sollte ein rauschender Kongress werden. 100 Jahre Deutsche Gesellschaft für Urologie. Daher wollte man auch in Wien den Kongress tanzen lassen. Ein halbes Jahr vor dem Termin ist nun der Tagungsort verlegt worden. Statt Wien nun das arm-aber-sexy-Berlin. Statt des renovierten Austria Centers auf der Donauinsel, das leicht angeschabte ICC auf der Verkehrsinsel der A100. (Für die Österreicher: Der Berliner Stadtring A100 ist in Höhe des ICCs die verkehrsreichste Autobahn Deutschlands).

Das ist für eine Mammutveranstaltung mit 6000 Teilnehmern ungewöhnlich. Die offizielle Pressemitteilung des Kongressbüros gibt wenig Hintergrundinformation zur Entscheidung.
Wir sehen uns aber zum Wohle der Gesellschaft verpflichtet, diesen Schritt zu gehen“, sagt DGU-Generalsekretär Professor Michael Stöckle. Zu dem Vorstandsbeschluss kam es jetzt aufgrund schwerwiegender, in dieser Tragweite nicht vorhersehbarer Umstände, die in Zusammenhang mit dem Auslandsstandort Wien stehen und die einen reibungslosen Kongressablauf gefährdet hätten. „Dies war zum Zeitpunkt der Auswahl des Tagungsortes so nicht vorhersehbar", sagt Professor Stöckle.
Terrorwarnung des Innenministeriums? Latente Deutschenfeindlichkeit in Wien? Urologennotstand in der österreichischen Hauptstadt?

Die Mitteilung(pdf) der Gesellschaft an die Mitglieder wird da etwas deutlicher.
Dieser Entschluss ist uns nicht leicht gefallen, zumal es sich um den Jubiläumskongress der Gesellschaft handelt. Wir sehen uns aber zum Wohle der Gesellschaft verpflichtet, diesen Schritt zu gehen. Es sind in Zusammenhang mit dem Auslandsstandort Wien und den Regularien des Ehrenkodex der pharmazeutischen Industrie Unwägbarkeiten aufgetreten, die einen reibungslosen Kongressablauf gefährden.

Was steht im §20 des Kodex der Mitglieder des Vereins Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V.?
Die Organisation, Durchführung und/oder Unterstützung von internationalen Veranstaltungen oder die Übernahme von Kosten für deren Teilnehmer ist nur zulässig, wenn
1. die Mehrzahl der Teilnehmer aus einem anderen Land als dem kommt, in dem das Mitgliedsunternehmen seinen Sitz hat, oder
2. an dem Veranstaltungsort notwendige Ressourcen oder Fachkenntnisse zur Verfügung stehen (etwa bei anerkannten Fachkongressen mit internationalen Referenten),
und angesichts dessen jeweils logistische Gründe für die Wahl des Veranstaltungsortes in einem anderen Land sprechen. Internationale Veranstaltungen sind interne oder externe Fortbildungsveranstaltungen, bei denen das die Veranstaltung organisierende, durchführende oder diese Veranstaltung oder deren Teilnehmer unterstützende Unternehmen seinen Sitz nicht im Land des Veranstaltungsortes hat.
In Wien hätten die Urologen die Jubiläums-Sause selber bezahlen müssen.

Der Kodex ist das letzte Mal am 2.12.2005 geändert und im Bundesanzeiger am 29.3.2006 bekannt gemacht worden, also vor einem Jahr. Das war nicht vorhersehbar? Meine Vermutung: Einige Pharmaunternehmen und wichtige Sponsoren haben kalte Füsse bekommen. Das ist halt der Unterschied: Vor 100 Jahren haben die 236 Teilnehmer ihre Fahrt und den 1. Kongress in Wien noch selber bezahlt. O tempora o mores.
 
[Ethik & Monetik]
Autor: strappato   2007-04-19   Link   (4 KommentareIhr Kommentar  



 

Staatanwaltschaft ermittelt lautlos

Die Mühlen der Justiz mahlen langsam, aber es geht voran. Die Verfahren der Staatsanwaltschaft München gegen die Pharmakonzrne Fujisawa, Bristol-Myers Squibb (BMS), Servier und Amgen stehen vor dem Abschluss, wenn man den Artikel in der Süddeutschen Zeitung richtig interpretiert. In mehr als 3000 Fällen sollen die Unternehmen Klinikärzten Geld oder andere Geschenke gegeben haben, um Aufträge zu erhalten. Gegen die Ärzte wird wegen Vorteilsannahme ermittelt.

Wie immer in Deutschland in solchen Fällen geht dies lautlos über die Bühne: Die meisten Verfahren werden wohl wegen geringer Schuld oder mit einer Geldauflage bis zu 10.000 Euro eingestellt.

Nachtrag für die Österreicher unter den Lesern. Im Fall BMS gab es auch eine Anfrage eines österreichischen Nationalratsabgeordneten.
 
[Ethik & Monetik]
Autor: strappato   2007-04-14   Link   (2 KommentareIhr Kommentar  



 

Mein Name ist Doppelagent

Hockeystick hat in einem Artikel bei boocompany einen Doppelagenten enttarnt. Joachim Thiery hat mit Pharmaindustrie und Tabakindustrie gleichermassen gute Beziehungen gepflegt.
 
[Ethik & Monetik]
Autor: strappato   2007-03-31   Link   (1 KommentarIhr Kommentar  



 

Sponsoring-Aufwendungen

Nach Roche hat auch GlaxoSmithKline (GSK) die Zusammenarbeit mit Patientenorganisationen öffentlich gemacht. Wobei Roche erst ab 3000 Euro veröffentlicht, GSK alle Beträge und Verwendungszweck.

GSK hat im Jahre 2006 35 deutsche Patientenorganisationen mit einer Gesamtsumme von rund 326.000 Euro unterstützt.

Ein paar Beispiele:
  • Die Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE), ein Netzwerk von Patientenorganisationen mit Seltenen Erkrankungen, hat 1.480 Euro für die jährliche Konferenz zur Bekanntheitssteigerung erhalten.
  • 10.600 Euro gingen an die MigräneLiga für die Unterstützung eines Migräne Symposiums, für Seminare mit den Leitern regionaler Patientengruppen und für die Mitgliederzeitschrift.
  • An die Deutsche Restless Legs Vereingung gingen 19.454 Euro für die Unterstützung einer Fortbildungsreihe für Patienten und deren Angehörige und ein zweitägiges Seminar für 27 Leiter der regionalen Gruppen.
In Österreich fliessen erheblich geringere Beträge. Dort hat GSK 2006 mit insgesamt 20.600 Euro 8 Selbsthilfeverbände unterstützt.

Die grossen Summen werden auf europäischer Ebene verteilt. Das European Institute of Women's Health erhielt im Jahr 2006 fast 21.000 Euro, was 13% des Budgets der Organisation war. Das European Patients' Forum (EPF) hat von GSK 71.750 Euro erhalten, 17% des Jahresbudgets. Den Rest holte man sich von Pharmaverbänden und anderen Pharmakonzernen. An die European Cervical Cancer Association (ECCA) wurden 100.000 Euro zur freien Verwendung gezahlt, 18,9% des Jahresbudgets von ECCA und angesichts der für 2007 erwarteten Markteinführung des HPV-Impfstoffes Cervarix® sicher eine gute Investition.

So eine Liste würde ich gerne mal für Pfizer sehen.
 
[Ethik & Monetik]
Autor: strappato   2007-03-09   Link   (6 KommentareIhr Kommentar  



 

Body Hunters


Ein Buch, das ich vor kurzem entdeckt habe:
Sonia Shah. The Body Hunters: Testing New Drugs on the World's Poorest Patients. New Press: New York 2006.
In The Body Hunters, investigative journalist Sonia Shah describes drug trials in places like India and Zambia that would have occasioned outrage if conducted in the developed world. The Body Hunters describes how the multinational pharmaceutical industry, in its quest to develop lucrative new drugs, has begun quietly exporting its clinical research business to the developing world, where ethical oversight is minimal, and desperate patients abundant.

Ich werde es bestellen und lesen. Meiner Meinung hat das Thema bisher nicht die notwendige öffentliche Aufmerksamkeit.

Dazu auch ein Artikel in Le Monde diplomatique.

--
Update
Ein Leser schrieb mir, dass in dem Magazin ZeitWissen 05/2006 ein sehr ausführlicher Bericht über das Buch stand. Jedoch nicht online.
 
[Ethik & Monetik]
Autor: strappato   2007-03-04   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Im Dreck wühlen

Vielleicht sollte doch mit dem bloggen aufhören. Es ist so deprimierend. Wo man hingreift, bleibt Dreck an den Händen kleben. Hier hatte ich heute noch ein Interview mit Robert Essner, dem CEO von Wyeth, verlinkt, schon kommt heute eine andere Meldung auf den Tisch:

Essner soll als Zeuge in einem Gerichtsverfahren aussagen, in dem es um das Verschweigen von Krebsrisiken bei der Hormonersatztherapie von Frauen in der Menopause mit dem Medikament Prempro® (in Deutschland Climopax®) geht. In den USA sind gegen Wyeth fast 5.000 Prozessen zu Prempro® und Premarin® anhängig.

The desire for increased sales has overruled our company's ethical responsibility to promote our products safely.
Aus einem vom 18. Juli 2000 datierten Brief eines ehemaligen Aussendienstmitarbeiters an die Verantwortlichen im "Office of Ethics and Business Conduct" von American Home Products, Wyeths früherer Unternehmensname.
 
[Ethik & Monetik]
Autor: strappato   2007-01-23   Link   (2 KommentareIhr Kommentar  



 

Rezept-Betrug

Wegen einer Betrugsserie zulasten der Krankenkassen ist ein Apotheker aus Neukölln zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Die Welt hat Details.
 
[Ethik & Monetik]
Autor: strappato   2007-01-16   Link   (5 KommentareIhr Kommentar  



 

Pflicht zum Whistleblowing

So geht man in den USA mit Betrug im Gesundheitswesen um: Ab nächstem Jahr sollen Beschäftigte im Gesundheitswesen per Gesetz zur Meldung von Betrug und Korruption ermutigt werden - auch gegen ihre Arbeitgeber. Diese sind verpflichtet, ihre Angestellten zu schulen, wie man Korruption erkennt und diese den zuständigen Behörden meldet.

Das betrifft Einrichtungen und Unternehmen, die mehr als 5 Millionen Dollar pro Jahr über das staatliche Medicaid-Programm bekommen. Ausserdem müssen diese Richtlininen erarbeiten, um sicher zu stellen, dass auch die Vertragspartner Hinweisen auf Gewährung illegaler Vorteile oder Bestechung nachgehen und melden. Damit wird das Gesetz auch Auswirkungen auf Apotheken, Versicherer, Ärzte, Pflegedienste oder Pharmakonzerne haben.

Vorraussetzung für solche Förderung ist, dass Whistleblower vor Schikanen und Rauswurf geschützt sind. In den USA gibt es Dutzende Gesetze, die dies sicherstellen sollen.

Auch Irland setzt auf Whistleblower, um die Korruption im Gesundheitswesen zu bekämpfen. Die Gesundheitsministerin hat ein Gesetz angekündigt, das Whistleblower schützen soll.
 
[Ethik & Monetik]
Autor: strappato   2006-12-26   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Medizincontent für den "Omasender"

Die Sendertochter ZDF-Enterprises, zuständig für Lizenzvermarktung, verkaufte mit Wirkung zum 30. März ihre Anteile an der Mainzer Produktionsfirma Medi Cine. Was für die FAZ Anlass war, in einem Artikel die besonders innigen Beziehungen des ZDF zu Pharma- und Krankenkassenthemen sich genauer anzusehen. Ein Musterbeispiel von Intransparenz und Sponsorenzahlungen in der Medizin-PR.
Bei so vielen Verstrickungen blickt keiner mehr durch.

Auch im Artikel erwähnt als Partner von Medi Cine: Publicis - die Agentur mit dem grossen Postfach.
 
[Ethik & Monetik]
Autor: strappato   2006-12-25   Link   (1 KommentarIhr Kommentar  



 

Wettbewerb um den richtigen Schmierstoff

Ein Interview im Deutschlandfunk mit Peter Schönhöfer, Mitherausgeber des Arznei-Telegramms.
Das Marketing der Pharmaindustrie hat anscheinend verlernt, dass Wettbewerb heisst Kostenwettbewerb oder Qualitätswettbewerb. Die machen den Wettbewerb unter Vergünstigungen.

 
[Ethik & Monetik]
Autor: strappato   2006-12-21   Link   (1 KommentarIhr Kommentar  



 



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