Cornelia Yzer: Die 800-Millionen-Dollar-Frau

Sie hat es getan. Cornelia Yzer, die Hauptgeschäftsführerin des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (vfa), hat wieder einmal das Entwicklungskosten Mantra ausgepackt. In einem Interview mit Spiegel online, in dem die Cheflobbyistin ihre Enttäuschung über die Gesundheitspoltik im Allgemeinen und den Gesundheitsminister von der eigentlich als pharmafreundlich verschrienen FDP im Speziellen äussert.

Die hohen Renditen in der Branche rechtfertig Yzer in dem Gespräch mit dem enormen Risiko:
Von 10.000 Ansätzen für ein neues Medikament schafft es nach rund zwölf Jahren und einer durchschnittlichen Forschungsinvestition von 800 Millionen Dollar ein einziger bis zur Zulassung.

Die 800 Millionen Dollar oder Euro sind mittlerweile sowas wie ein Running-Gag. Die Schätzung basiert auf einem pdf-Datei Artikel aus dem Jahr 2003. Die Autoren kommen mit einer waghalsigen Berechnung, die ganze 35 Seiten benötigt, auf Entwicklungskosten von 403 Millionen Dollar für ein Medikament, die durch die Kapitalaufwendungen bis zur Markteinführung sich auf 802 Millionen Dollar addieren - gemessen an dem Dollarwert im Jahre 2000.

Die realen Kostenschätzungen kennen selbst in den Pharmauternehmen nur wenige. Es wird angenommen, dass diese erheblich niedriger liegen. Es könnten jedoch auch viel mehr sein. Das stellte Ende letzten Jahres ein Lilly-Stratege in einem Artikel in der Zeitschrift "Nature Reviews" fest. Wenn man der Summe von 800 Millionen Dollar noch zusätzliche regulatorische Aufwendungen, die Kosten für die Zulassung ausserhalb der USA, eine verminderte Erfolgsrate, die Inflation und die Steigerung bei "anderen Kosten" zugeschlagen würde, käme man locker auf umgerechnet 3 Milliarden Euro. Bei gentechnischen Biologica auch gerne 4,5 Milliarden Euro. Aber zur Übernahme dieser Summen in die gesundheitspolitische Kommunikation fehlt sogar den Pharmaunternehmen die Chuzpe.

Und so klammern sich die Pharmaunternehmen, die es eigentlich für sich besser wissen müssten, an die beeindruckende Zahl von 800 Millionen, wahlweise Euro oder Dollar, ohne Quellen für ihre Schätzung anzugeben.

Die Entwicklung eines neuen Arzneimittels dauert 10 bis 12 Jahre und kostet rund 800 Millionen Euro.
Bayer Schering Pharma

Bis ein neues Medikament auf den Markt kommt, vergehen im Schnitt zehn bis zwölf Jahre und es entstehen Kosten von rund 800 Millionen Euro.
Novartis

Erforschung und Entwicklung eines neuen Medikaments dauern circa 12 Jahre und kosten im Durchschnitt etwa 800 Millionen US-Dollar.
MSD

12 bis 15 Jahre dauert es durchschnittlich, bis ein neues Medikament erforscht, entwickelt und zur Abgabe in Apotheken zugelassen ist. Mehr als 800 Millionen US-Dollar müssen dafür aufgebracht werden.
Sanofi-Aventis

Um ein einziges neues Medikament zu entwickeln, müssen etwa 800 Millionen Euro aufgewendet werden.
pdf-DateiPfizer

Die Entwicklung eines Medikamentes kostet im Durchschnitt 800 Millionen bis eine Milliarde US-Dollar und dauert länger als zehn Jahre.
Lilly

Drug Discovery, präklinische und klinische Entwicklung dauern etwa zehn Jahre und erfordern einschließlich möglicher Misserfolge eine Investition von 800 Millionen US-Dollar im Durchschnitt.
Boehringer

Die Entwicklung eines neuen Medikaments dauert im Durchschnitt 12 Jahre und kostet zwischen 600 und 800 Millionen Euro.
pdf-DateiMerck KGaA

Für die Entwicklung eines neuen Medikamentes – von der ersten Forschungsreihe bis hin zur Zulassung – muss ein Pharmaunternehmen heute einen Zeitraum von etwa 12 Jahren und Kosten von durchschnittlich 800 Millionen USD veranschlagen.
AstraZeneca

Etwa zehn bis zwölf Jahre vergehen von der ersten Vision bis zum fertigen Medikament. Dabei verschlingt der gesamte Prozess rund 800 Millionen Euro - die Markteinführungskosten noch nicht mit eingerechnet.
GlaxoSmithKline

[...], denn von der Entwicklung eines Forschungsansatzes bis zur behördlichen Zulassung des fertigen Arzneimittels können bis zu 12 Jahre vergehen.
Novo Nordisk

Schon die Tatache, dass im Gegensatz zu anderen Aufwendungen, die 800 Millionen praktisch über 10 Jahre stabil geblieben sind, sollte die Journalisten nachdenklich machen. Aber solange nicht nachgefragt wird, können die Pharmaunternehmen sich weiter hinter ihrem 800-Millionen-Schild verstecken und so ziemlich alles damit rechtfertigen: Üerdurchschnittliche Rendite, öffentliche Forschungsförderung, hohe Medikamentenpreise, Schutz vor Nutzenbewertung.

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Das Laborjournal hat noch ein paar Hintergründe.
 
[Pharmaindustrie]
Autor: strappato   2010-04-20   Link   (11 KommentareIhr Kommentar  



 

OLG Braunschweig: Ärzte sind Beauftragte der Krankenkassen

Ein Beschluss des Oberlandesgerichts Braunschweig könnte die Spielregeln für die Beziehungen zwischen Ärzten und Pharmaindustrie ziemlich durcheinander bringen. Die Richter urteilten, dass Kassensärzte als Beauftragte der Krankenkassen handeln.
Bei Verordnung einer Sachleistung gibt der Vertragsarzt mit Wirkung für und gegen die Krankenkasse die Willenserklärung zum Abschluss eines Kaufvertrages über die verordneten Medikamente ab; man kann ihn durchaus als “Schlüsselfigur der Arzneimittelversorgung” bezeichnen.

Damit unterlägen die Ärzte dem § 299 des Strafgesetzbuchs - Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr. In dem vorliegenden Fall hatte ein Braunschweiger Apotheker einem Arzt mit 187000 DM den Umbau seiner Praxis finanziert und später monatlich an die 2000 Euro Mietkostenzuschuss überwiesen. Im Gegenzug habe der Arzt nach Auffassung der Staatsanwälte den Apotheker unter anderem bei den Verschreibungen von Zytostatika bevorzugt.

Nach dem Urteil, wenn es Bestand hat, könnten Ärzte zukünftig wegen Vorteilsnahme oder Vorteilsgewährung bestraft werden. Dementsprechend eindeutig fällt die Bewertung aus: Die Leiterin der Zentralstelle für Korruptionsbekämpfung bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig sieht in dem Bechluss ein Erdbeben. Die Krankenkassen reagierten ausgesprochen zustimmend. Während die KV Niedersachsen und eine Ärztekammer die Freiheit des Arzt bedroht sehen und eine Kriminalsierung befürchten.

Die Ausweitung des § 299 StGB auf Kassenärzte bedeutet jedoch auch ein Strafbarkeitsrisiko aus steuerlicher Sicht für die Pharmaindustrie. Ausgaben, die ein Verstoss gegen § 299 sind, unterliegen dem Betriebskostenabzugsverbot, sprich: Jeder Buchhalter, der derzeit och einen Cent an einen Arzt für was auch immer zahlt (Essen, Kongressreise, Bürostuhl etc.), könnte im Nachhinein damit rechnen, wegen Steuerhinterziehung zur Verantwortung genommen zu werden. Das Urteil sollte im Controlling und bei den Finanzverantwortlichen der Pharmaindustrie bekannter werden. Denn eine Ordnungswirdrigkeit bezahlt das Unternehmen aus der Portokasse, bei einem Strafverfahren müssten sie für ihr Unternehmen und das Management den Kopf hinhalten.

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Update 30.4.2010
Kommentar von zwei Anwälten im Ärzteblatt. Verdacht auf Bestechlichkeit: Strafrechtliches Risiko nimmt zu.
 
[Pharmaindustrie]
Autor: strappato   2010-04-17   Link   (6 KommentareIhr Kommentar  



 

Pfizers Momentaufnahmen



Pfizer stellt seine Mitarbeiter als Foto-Mosaik vor. Natürlich dynamisch generiert, denn die Personalkürzungen gehen in dem Pharmakonzern weiter.
 
[Pharmaindustrie]
Autor: strappato   2010-03-08   Link   (1 KommentarIhr Kommentar  



 

AstraZeneca schwingt (wieder einmal) die Axt



AstraZeneca to slash 900 jobs in Lund.
AstraZeneca lays off 550 workers in Wilmington.
AstraZeneca research centre jobs go.

Am Ende sollen es weltweit 8000 weniger sein. In Deutschland hatte es bei AstraZeneca erst vor einem Jahr Stellenstreichungen gegeben - vor angekündigten aktuellen Entlassungswelle.
 
[Pharmaindustrie]
Autor: strappato   2010-03-05   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Pfizer lässt Mitarbeiter von Münster nach Berlin umziehen

Pfizer schliesst den Wyeth-Standort in Münster und verfrachtet einige Mitarbeiter nach Berlin. Wieder einmal ein Grund für die gebeutelte Berliner Wirtschaftspolitik zu jubeln.
Da ist eine gute Entscheidung für Pfizer und eine gute Nachricht für Berlin. Das Unternehmen wächst hier und stärkt die Gesundheitswirtschaft in der Stadt. Wir freuen uns auf die neu nach Berlin kommenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und heißen sie hier herzlich willkommen!

200 Mitarbeitern soll mit Willkommensprämien, bezahlten Familienheimreisen und Unterstützung bei der Umzugsorganisation sowie bei der Suche nach Kita- oder Schulplätzen der Weg aus dem Münsterland nach Berlin erleichtert werden. Was der Tagesspiegel verschweigt: Die Mitarbeiter der ehemaligen Wyeth-Geschäftsbereiche Humanarzneimittel und Tiergesundheit müssen sich auf Stellen bei Pfizer in Berlin bewerben. Den Wyeth-Mitarbeitern wird lediglich versprochen, dass sie bei der Vergabe der neuen Stellen "bevorzugt" berücksichtigt werden. Wieviele wirklich nach Berlin kommen bleibt offen.

Schon beim Umzug von Karlsruhe nach Berlin ist bei der Stellenzahl ziemlich jongliert worden. Die Berliner Presse freut sich immer noch über 500 Mitarbeiter bei Pfizer am Potsdamer Platz, obwohl schon am Anfang klar war, dass es erheblich weniger sind.

Pfizer wird den Umzug wieder einmal zum Personalabbau nutzen. Seit der Wyeth-Übernahme hat Pfizer weltweit 4200 Mitarbeiter abgebaut. Am Ende könnten es 20.000 Jobs sein, soll Pfizer signalisiert haben.

Der Betriebsratsvorsitzende von Wyeth befürchtet schon, dass eher nur eine kleine Zahl der in Münster im Innendienst Beschäftigten die Chance in Berlin wahrnehmen werde. Pfizer hat angekündigt, weitere Büroräume in dem Berliner Gebäude anzumieten. Vielleicht braucht es gar nicht soviel Platz.
 
[Pharmaindustrie]
Autor: strappato   2010-02-10   Link   (3 KommentareIhr Kommentar  



 

Drastische Preissteigerung für Grippeimpfstoffe

Im arznei-telegramm hat ein aufmerksamer Apotheker auf die bemerkenswerte kontinuierliche Preissteigerung bei saisonalen Grippeimpfstoffen hingewiesen. So hätten 10 Injektionen der Grippeimpfstoffs des Unternehmens Ratiopharm in der Saison 2005/2006 91,39 Euro gekostet. Dafür bekommt man mittlerweile nicht mal mehr 6 Injektionen des aktuellen Vakzins. Der Apothekenverkaufspreis für 10 Injektionen "Grippeimpfstoff-ratiopharm® 2009/2010" liegt nun bei 172,50 Euro. Eine Preissteigerung von 90% in vier Jahren.

Der Apotheker konstatiert, dass es wohl an den Preisen für Hühnereier, auf denen der Impfstoff gezüchtet wird, nicht liegen könne. Nein.

Ein hoher Sprung von 38% war von 2006/7 (100,53 Euro) auf 2007/2008 (138,34 Euro) zu verzeichnen. Das fiel zufällig zusammen mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, in dem Impfstoffe zum ersten Mal als Regelleistung in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen aufgenommen worden sind. Eine Einladung, Kasse zu machen.

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Es geht noch höher. MUTAGRIP® von Sanofi Pasteur MSD geht für 199,98 Euro in der Zehnerpackung über den Apothekentresen. Der Arzneiverordnungsreport 2009 stellt fest, dass bei den Ausgaben für Grippeschutzimpfungen im günstigsten Fall durch die Verschreibung der Impfstoffe der Generika-Anbieter, 83 Millionen Euro eingespart werden könnten.

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Update:
6 Wochen später hat es auch der Focus gemerkt. So wie es aussieht war die Grafik am 22. Februar im Spiegel.
 
[Pharmaindustrie]
Autor: strappato   2010-01-19   Link   (18 KommentareIhr Kommentar  



 

Innovationsklemme in der Pharmaindustrie

Für den Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA), der hier mitliest, gibt es gute Nachrichten. Wenn die Hauptgeschäftsführerin Cornelia Yzer mal wieder die hohen Entwicklungskosten von Medikamenten beklagen will, ist sie nicht mehr auf die vage Angabe "800 Millionen Dollar mit steigender Tendenz" angewiesen. Es waren 2008 genau 3,911 Milliarden Dollar. Bei der durchschnittlichen jährlichen Erhöhung von 12,3% darf man ruhig von 4 Milliarden Dollar sprechen oder, weil es eine runde Summe ist, von 3 Milliarden Euro. Denn damit sind nur die Entwicklungskosten eines herkömmlichen Arzneimittels ("small molecules") abgedeckt; die Entwicklung von gentechnisch hergestellten Biologika ("large molecules") ist 50% teurer.

Diese abenteuerliche Rechnung, in der zu der immer verwendeten Summe von 800 Millionen Dollar für 2000, die aus einem Papaer von DiMasi aus dem Jahr 2003 stanmt, noch zusätzliche regulatorische Aufwendungen, die Kosten für die Zulassung ausserhalb der USA, eine verminderte Erfolgsrate, die Inflation und die Steigerung bei "anderen Kosten" zugeschlagen werden, stellt Benard Munos, der Chefstratege der Pharmakonzerns Lilly in einem Artikel in der Zeitschrift "Nature Reviews" vor.

Die skurile Kalkulation ist jedoch nur ein Teil der sonst interessanten Betrachtung der pharmazeutischen Innovation in den vergangenen sechs Jahrzehnten, dem derzeitigen Lieblingsthema in der Pharmaindustrie. Wegbrechende Einnahmen durch auslaufende Patente, eine wachsende Konkurrenz beispielsweise aus Indien und China und Massnahmen zur Senkung der enormen Medikamentenausgaben zwingen die Industrie dazu, ihr Geschäftsmodell zu überdenken.

Gerne wird die gesunkene Zahl der Neuzulassungen als Ursache für die Misere ausgemacht. In Deutschland wurden 2009 immerhin 37 Wirkstoffe neu zugelassen, die höchste Anzahl seit 1997.

Munos hat sich in einer Fleissarbeit alle 1.222 von der US-Aufsichtsbehörde FDA zwischen 1950 und 2008 neu zugelassenen Wirkstoffe angesehen und bestätigt, was schon aus der Grafik für Deutschland ersichtlich ist. Die Zahl der Neuzulassungen ist bemerkenswert konstant und lag auch in den USA seit 1950 meist bei knapp 30. Ausreisser nach oben zwischen 1994 und 1998 erklären sich damit, dass die FDA durch die Gebührenfinanzierung ab 1992 mehr Ressourcen zur Verfügung hatte und einen aufgestauten Antragsberg abbauen konnte.

Obwohl tausende Unternehmen in der Medizin forschen und entwickeln, waren nur 261 Organisationen für die 1.222 Neuzulassungen verantwortlich. 21 Unternehmen bestritten die Hälfte der Zulassungen, alleine drei Unternehmen, Merck & Co., Lilly und Roche fast 15%. Die Dominanz von "Big Pharma" bei der Neuentwicklung schwindet. Deren Anteil sank von 75% seit Anfang der 80er Jahre auf nun 35%. Trotz fehlender exakter Daten kann man feststellen, dass kleinere Unternehmen mehr Produkte für weniger Geld erfinden.

Trotz gestiegener Ausgaben für Forschung und Entwicklung, massiven Förderprogrammen, besser ausgebildeten Wissenschaftlern, ausgefeilten diagnostischen und analytischen Möglichkeiten und dem Internet bringen die Pharmaunternehmen Jahr für Jahr eine gleichbleibende Anzahl von Innovationen heraus. Bei steigenden Kosten und sinkenden Einnahmen ist dies der Weg in die wirtschaftliche Sackgasse.

Der Kurswechsel, der vom Lilly-Strategen empfohlen wird, klingt utopisch für jeden, der grosse Pharmakonzerne näher kennt. Er verweist auf neue Anreize und Strukturen, um Forschung zu fördern. Public-private-partnerships, opensource r&d und andere Initiativen, die von Munos schon vor drei Jahren gepredigt wurden. Immer noch Fiktion, auch weil die Unternehmen kurzfristige Umsatzziele verfolgen und weiterhin der Erfolg von immer seltener werdenden und eher zufälligen und nicht systematisch vorhersagbaren Umsatzbringern abhängt.

Daher sollte der exklusive Club der forschenden Arzneimittelhersteller kein gesteigertes Interesse haben, die Forschungsausgaben über die legendären 800 Millionen Dollar hinaus zu extrapolieren und dies als Argument für hohe Medikamentenpreise zu verwenden. Die Ineffizienz der Forschung würde offenkundig werden und der Ruf nach steuerlicher Forschungsförderung käme einem staatlichem Bail-out gleich.
 
[Pharmaindustrie]
Autor: strappato   2009-12-30   Link   (1 KommentarIhr Kommentar  



 

Innovation und Nutzen

Innovation ist das Mantra, das von allen an der Gesundheitspolitik Beteiligten gemurmelt wird, wenn es um die Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten geht. Für den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) pdf-Dateigelingt "medizinischer Fortschritt nur mit Innovationen, die auch zum Patienten gelangen", für den GKV-Spitzenverband pdf-Dateimuss "für die Versicherten auch in Zukunft die Teilhabe am medizinischen Fortschritt und an innovativen Leistungen sicher sein", ein Positionspapier der Konrad-Adenauer-Stiftung fordert "von dem künftigen Ordnungsrahmen, dass er Freiräume schafft, damit neue Ansätze und innovative Konzepte eine Chance erhalten". Schon im ersten Satz zum Thema Gesundheit versprechen CDU und FDP im Koalitionsvertrag "Wir werden das deutsche Gesundheitswesen innovationsfreundlich, leistungsgerecht und demographiefest gestalten".

Da wird ein Konzept zelebriert, das anachronistisch wirkt. Nur ein freier Wettbewerb und möglichst wenig regulierter Markt bietet genügend Anreize für Investitionen, die am Ende zu neuen Produkten und Dienstleistungen, und zu Therapien für bisher ungelöste Gesundheitsprobleme führen. Der Nutzen einer Innovation soll sich möglichst am Markt zeigen. Nutzenbewertungen und andere regulatorische Eingriffe sind des Teufels. Das mündet in abstrusen Forderungen, wie vom BDI, dass innovative Produkte auch dann von den gesetzlichen Kassen finanziert werden müssten, wenn es erhebliche Zweifel an dem therapeuthischen Zusatznutzen gegenüber preiswerteren Medikamenten gäbe. Erst wenn sich der Nutzen am Markt nach ein paar Jahren nicht zeigt, könnte den Krankenkassen frei gestellt werden, auf eine Erstattung zu verzichten.

Zweifel, dass die Gleichung "Erstattung und Bezahlung fördert die Entwicklung neuer Medikamente" nicht aufgeht, hat erst vor wenigen Monaten eine Studie von Donald Light, Gastprofessor an der Stanford-University, gesät. Light hatte mit seiner Untersuchung für erhebliche Unruhe und Diskussionen in der Pharmabranche gesorgt.

Für den Wissenschaftler bietet der europäische Weg, den Nutzen neuer Medikamente zu bewerten und höhere Preise nur zu akzeptieren, wenn das Medikament besser ist, als schon auf dem Markt befindliche, mehr Anreize zur Entwicklung von Innovationen, als der freie Markt in den USA, auf dem hohe Preise für neue Arzneimittel unabhängig vom Zusatznutzen gezahlt werden.

Light hatte die Daten einer von AstraZeneca finanzierten Studie aus dem Jahr 2006 nochmals analysiert, in der die Autoren durch die Untersuchung von klinischen Studien und Veröffentlichungen zwischen 1982 bis 2003 zum Schluss gekommen waren, dass US-Unternehmen erfolgreicher als europäische Firmen echte Innovationen, Biotech-Medikamente und Arzneimittel für seltene Erkrankungen auf den Markt bringen.

Mit seiner qualifizierteren Auswertung der Entwicklung von neuen Wirkstoffen, die dies in Beziehung zu Ausgaben für Forschung und Entwicklung in den USA, Europa und Japan setzte, konnte er zeigen, dass stattdessen europäische Pharmaunternehmen eine höhere Anzahl von neuen Medikamenten entwickelt hatten, die erste in ihrer Wirkstoffklase waren, als US-Firmen. Während zwischen 1982 und 1992 die Produktivität der Forschung vergleichbar war, stieg die Produktivität in Europa in den folgenden zehn Jahren um 30% an, hingegen fiel diese in den USA um 26% ab. Europäische Pharmaunternehmen brachten nicht nur mehr Produkte heraus, sondern auch mit weniger Geld. Obwohl die Preise für patentgeschützte Arzneimittel auf dem alten Kontinent im Schnitt halb so hoch sind - somit auch die Einnahmen, genügte dies für stabile und erfolgreiche Aufwendungen in die Forschung.

Als Erklärung zitiert Light Studien, nach denen in den vergangenen 40 Jahren nur 11-15% der neuen Medikamente einen echten klinischen Vorteil zeigen konnten und nicht nur Scheininnovationen waren, deren Erfolg vom Marketing abhängt. Die hohen Arzneimittelpreise in den USA ermöglichten es den Unternehmen, durch Marketingkosten auch "me-too"-Medikament zum wirtschaftlichen Erfolg zu führen, obwohl sie dem Patienten keinen zusätzlichen Vorteil bringen.

Unterstützend könnte man auch die Marketingausgaben betrachten. Nach Zulassung der Endverbraucherwerbung in den USA stiegen die Ausgaben für Medikamente um 84% von 1993 bis 1998. Insgesamt sind die Ausgaben nur für Endverbraucherwerbung in den USA von 55 Millionen Dollar in 1991 auf 4,7 Milliarden Dollar in 2008 explodiert, alleine den vergangenen 10 Jahren eine Vervierfachung. Dies sind jedoch lediglich ein Zehntel der Gesamtausgaben für das Pillenmarketing in den USA.

Von Branchenvertretern werden die Ergebnisse von Donald Light ernst genommen. Die Pharmaindustrie ist dringend auf neue innovative Medikamente angewiesen. Die forschenden Pharmaunternehmen kämpfen mit erodierenden Umsätzen in den nächsten Jahren durch den Patentauslauf von Blockbustern. So wird etwa der Pharmakonzern Lilly über die Hälfte seines Umsatzes in den nächsten vier Jahren einbüssen.

Helfen soll die Erschliessung neuer Märkte. In 2007 wurden noch 45,9% der weltweiten Umsätze mit Arzneimitteln in den USA erwirtschaftet, fast ein Drittel in Europa. Eine Steigerung wird dort in Zukunft kaum zu erwarten sein. Die Pharmaindustrie setzt daher auf Patienten in Asien, Osteuropa sowie Südamerika. Alleine die sieben Länder Brasilien, China, Indien, Mexico, Russland, Südkorea und die Türkei vereinen 2009 über die Hälfte des globalen Wachstums. China wird dieses Jahr zum fünftgrössten Arzneimittelmarkt werden, 2013 soll das Reich der Mitte sogar Deutschland überholt haben. Diese Länder sind jedoch auch Forschungs-Konkurrenten und nicht nur Absatzmärkte.

Ein Grund mehr, die Effizienz der Forschung zu verbessern.
Auch wenn der Wunsch der Forschungsministerin, dass Deutschland wieder zur "Apotheke der Welt" werden soll, nicht von dieser Welt ist, muss sich die Forschung an den Bedingungen des Weltmarktes orientieren. Für Arzneimittel und Medizintechnik ist das nicht der freie Markt, sondern ein regulierter, in dem Behörden, Krankenversicherungen, aber auch Ärzte und Patienten, Entscheidungen in Zukunft noch viel mehr an Evidenz, Kosten und Nutzen festmachen werden.
 
[Pharmaindustrie]
Autor: strappato   2009-12-28   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Spitzenpreise für Medikamente in Deutschland

Cornelia Yzer, die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (VFA), meint die deutschen Arzneimittelpreise lägen im europäischen Mittelfeld. Dabei bedient sie sich der Konkurrenz aus dem Lager der Generikaanbieter, denn die 200 meistverordneten Wirkstoffen, bei denen Deutschland auf gleicher Höhe mit den skandinavischen Ländern – und weit unter Belgien oder Irland - rangieren würde, sind zu einem grossen Teil patentfreie Wirkstoffe. Durch Festpreise und Rabattverträge sind Generika in Deutschland preiswerter als in den meisten anderen europäischen Ländern. Im September 2009 gaben die deutschen Apotheken bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln in 62 von 100 Fällen Generika an Versicherte der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ab.

Bei den patentgeschützten Medikamenten, deren Hersteller der VFA vertritt, ist Deutschland dagegen in Europa Höchstpreisland, das legt auch ein pdf-DateiBericht des britischen Gesundheitsministeriums nahe. Im direkten Vergleich der Herstellerabgabepreise für die 150 meistverordneten Originalpräparate ("branded drugs") hat Deutschland 42% höherer Preise als Grossbritannien. Das ist mit Ausnahme der USA (152%) der höchste Wert aller analysierten Länder.



Bei solchen Betrachtungen ist nur der direkte Vergleich mit einem Referenzland sinnvoll, da nicht alle Wirkstoffe und Dosierungen in allen Ländern auf dem Markt sind. Ein gemeinsamer Vergleich würde die Datenbasis verkleinern und verzerren. Der Kurs des britischen Pfunds war 2008 gegenüber dem Euro schwach - ein Grund für die niedrigen Preise auf der Insel. Jedoch auch in der Betrachtung des mittleren Wechselkurses der letzten 5 Jahre sind in Deutschland die Herstellerabgabepreise um 19% höher als im Vereinigten Königreich - und damit spitzenmässig teuer gegenüber den dortigen Preisen.

Bei solchen Betrachtungen wird gerne auf Länder wie die Schweiz verwiesen, es wird halt immer jemand gesucht, der noch schlimmer ist. Zum einen ist die Schweiz ein erheblich kleinerer Markt und zum anderen ziehen die schweizer Behörden England, Deutschland, Dänemark und die Niederlande als Vergleich heran. Daher ist selbst die Schweiz kein pdf-DateiHochpreisland mehr. Gemäss Angaben des Bundesamt für Gesundheit sind 75% der neuen Arzneimittel in der Schweiz billiger als in den europäischen Vergleichsländern

Deutschland bestimmt zum Teil die Preise in anderen Ländern mit. Das bestätigt Cornelia Yzer:
Richtig ist, dass der deutsche Preis als Referenzpreis für viele andere Länder gilt. Das liegt daran, dass wir nach wie vor ein starker Pharmastandort sind, einen hohen Exportanteil haben und jeder darauf schaut, wie das Produkt im Heimatmarkt positioniert ist.

Des Preisniveaus hierzulande bedienen sich selbstverständlich auch Arzneimittelhersteller, die in Deutschland weder produzieren, noch forschen. Die anderen Länder würden gerne woanders hinschauen. Jedoch wird ihr Blick von den Pharmakonzernen bei Preisverhandlungen mit Krankenkassen und Behörden mit dem Hinweis auf die hohen Preise auf dem weltweit drittgrössten Markt für Arzneimittel zwangsweise auf Deutschland gelenkt.
 
[Pharmaindustrie]
Autor: strappato   2009-12-17   Link   (3 KommentareIhr Kommentar  



 

Ex-Ratiopharm-Chef steigt ins Ratiopharm-Bietergefecht ein

Ratiopharm wird verkauft. Dezeit läuft das Bietergefecht. Wer aber meint, der Verkauf von einem der grössten deutschen Pharmaunternehmen mit über 5000 Mitarbeitern und fast 2 Milliarden Euro Umsatz weltweit wäre ein wichtiges Thema in der deutschen Wirtschaftspresse, der wird enttäuscht. Der Focus meldet um 17:00 Uhr plichtgemäss: Zweite Bieterrunde für Ratiopharm endet am 4. Dezember.

Die eigentliche Top-Nachricht wird ignoriert: Albrecht Links Up With EQT to Bid for Ratiopharm, FT Reports. Die Financial Times hatte gemeldet, dass der ehemalige Vorsitzende der Ratiopharm-Geschäftsleitung, Claudio Albrecht, zusammen mit der Private Equity Gesellschaft der schwedischen Wallenberg-Familie ins Rennen um das Generika-Unternehmen einsteigt.

Albrecht musste 2005 im Zuge der Aufdeckung des Korruptions-Skandals seinen Hut nehmen. Andere Finanzinvestoren haben sich auch Generika-Haudegen mit ins Boot geholt. Wenn man dazu noch bedenkt, mit welchen Methoden Finanzinvestoren das Fremdkapital wieder reinholen, dann sind das weder für die Ratiopharm-Mitarbeiter, noch für die Ethik der Branche gute Aussichten.
 
[Pharmaindustrie]
Autor: strappato   2009-11-27   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 



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