Hilfe für Medizinjournalisten

Das Journal of the National Cancer Institute (JNCI) macht sich Gedanken, wie Medizinjournalisten geholfen werden kann, qualitativ bessere Arbeit abzuliefern. In einem Editorial analysieren Steven Woloshin, Lisa M. Schwartz und Barnett S. Kramer die Berichterstattung von einigen wissenschaftlichen Artikeln und Erkenntnissen und kommen zu dem Schluss:
When it comes to exaggeration of health hazards and medical breakthroughs, there is plenty of blame to go around.

Es soll jedoch nicht bei der Kritik bleiben. Zum einen können nach Ansicht der Autoren die Zeitschriften die aggregierten Resultate wie absoluten Risiken oder Einschränkungen besser kommunizieren. Einige Journals präsentieren schon Zusammenfassungen wie "Limitations", "Contexts and Caveats" oder "Bias, confounding, and other reasons for caution", die die Bewertung für Journalisten, aber auch für andere Interessierte erleichtern soll.

Das JNCI hat sich entschlossen mehr zu tun. Die Zeitschrift hat eine Website gestartet, die Journalisten helfen soll, es richtig zu machen ("get it right"). Den Anfang machen auf der Internetseite eine Reihe von Tipps, die die Autoren für ein Buch entwickelt und für Journalisten angepasst haben.

Die erste Handreichung enthält zwei Glossare mit Definitionen und Beispielen für typische statistische Masse, die in medizinischen Veröffentlichungen verwendet werden. Ein weiteres Dokument soll Journalisten bei der Intepretation helfen, was die gefunden Resultate aussagen, welche Bedeutung sie haben und ob sie missverständlich sein können. Wenn es darauf keine Antwort gibt, legen die drei Wissenschaftler den Journalisten nahe, die Story zu vergessen. Ausserdem gibt es noch Vorschläge für angemessene Formulierungen, was für deutsche Medizin-Journalisten nur begrenzt von Nutzen ist.

Für Nachhilfe in Sachen Interpretation von medizinsichen Studien brauchen deutsche Journalisten gar nicht so weit zu surfen. Das Ärzteblatt hat eine mittlerweile 9-teilige Serie zur Bewertung wissenschaftlicher Publikationen veröffentlicht. Gleich 24 Teile hat die Statistik-Serie der Deutschen Medizinischen Wochenschrift aus dem Jahr 2007. Zu finden auf mit der Suche nach dem Stichwort "Statistik-Serie", die aber eher was für Hardcore-Einsteiger und Wiedereinsteiger ist.
 
[Journalismus]
Autor: strappato   2009-12-04   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Skeptischer Medizinjournalismus leicht gemacht

Nicht nur in Deutschland ist die Qualität des Medizinjournalismus überwiegend unterirdisch.

Ein Editorial im "Journal of the National Cancer Institute" zeigt anhand konkreter Fallbeispiele aus den USA auf, was schief läuft. Aber es bleibt nicht bei Kritik: Mit einer Reihe von sehr konkreten Tipps werden Medizinjournalisten von den Autoren an die Hand genommen, um ihnen zu zeigen, wie man es besser machen könnte.

EIn drastisches Beispiel aus dem Artikel ist ein Krebsmedikament, das im US-Fernsehen als der "wichtigste Durchbruch des Jahrzehnts" in der Krebsmedizin gefeiert worden war. Grundlage für die Euphorie war eine an den Regividerm-Skandal gemahnende Phase-I-Studie mit 60 Patienten ohne Kontrollgruppe, in der sich in einer Subgruppe von 19 Patienten eine Wirkung anzudeuten schien.

Die Autoren des Editorials sehen die Schuld an der Misere zum Teil schon bei den Fachzeitschriften. Zum einen ist es so, dass schon in den Fachartikeln die Effekte medizinscher Behandlungen übertrieben dargestellt werden. Noch stärker ausgeprägt ist dieser Effekt in Presseerklärungen der Fachzeitschriften. Aus diesen aufgehübschten PR-Darstellungen bereits geschönter Fachpublikationen werden dann für ein Laienpublikum noch weit übertriebenere Berichte destilliert.

Die Autoren des Artikels geben den Medizinjournalisten eine Reihe von konkreten Tipps an die Hand. Die Hinweise zielen keineswegs nur auf die Berichterstattung über Krebserkrankungen.

pdf-DateiQuestions to Guide Reporting

pdf-DateiStatistics Glossary

pdf-DateiNumbers Glossary

pdf-DateiHow to Highlight Study Cautions
 
[Journalismus]
Autor: hockeystick   2009-12-02   Link   (5 KommentareIhr Kommentar  



 

Wie der SPIEGEL eine Ente schuf, die um die Welt flog (Update)

Der belgische Neurologe Steven Laureys zeigt sich zerknirscht über die weltweite Medienberichterstattung im Fall Rom Houben. Gegenüber der belgischen Zeitung "De Standaard" erzählt er, wie er zunächst zusammen mit dem SPIEGEL den Medienhype entfachte, und wie er dann von den Folgen der vollkommen aus dem Ruder gelaufenen Berichterstattung überrollt wurde.

Ausgangspunkt für eine der aberwitzigsten Medienenten des Jahres war nach seinen Angaben die Anfrage eines SPIEGEL-Journalisten, der über mögliche Bewusstseinsreste bei Wachkomapatienten berichten wollte.

Laureys hatte im Juli einen außerhalb der Fachwelt kaum beachteten Fachartikel zum Thema veröffentlicht. In der Veröffentlichung selbst ist noch keine Rede von einem wundersam wiedergeborenen sprachlich eloquenten zukünftigen Buchautor. Vielmehr geht es darin um moderne Diagnosekriterien für Patienten mit schweren Bewusstseinsstörungen. Der Studie zufolge wird ein hoher Prozentsatz der Patienten, die nach neueren Beurteilungskriterien als MCS (Minimally Conscious State, etwa: Patient mit minimalen Bewusseinsresten) diagnostiziert werden müssten, fälschlich als VS (Vegetative State, etwa: Apallisches Syndrom bzw. Wachkoma) diagnostiziert. Von einem "Locked-In"-Patienten mit "vollständig intakten" Hirnfunktionen, in den sich Rom Houben in der Darstellung von Laureys im Laufe des später folgenden Medienhypes verwandeln würde, war in der Veröffentlichung noch keine Rede.

Dem SPIEGEL-Autor Manfred Dworschak war das wohl zu unspektakulär.
Een journalist van Der Spiegel pikte de onderzoeksresultaten op, maar kwam bij Laureys aankloppen voor een 'menselijke case' en dat werd Rom.
Er wollte einen "menschlichen Fall". Und da kam Laureys auf die ungute Idee, ihm seinen Patienten Rom Houben als Aufhänger zu präsentieren.

Rom Houben unterscheidet sich von anderen VS- oder MCS-Patienten nach allem, was bislang über ihn berichtet wurde, vor allem dadurch, dass seine Angehörigen über ein esoterisches Kommunikationsverfahren namens "Gestützte Kommunikation" meinen, mit ihm zu kommunizieren.

Dass es sich bei dem Verfahren um Humbug handelt, um Selbsttäuschung der Beteiligten - in einzelnen Fällen vielleicht sogar um schlichten Betrug durch den "Unterstützer" - ist seit Jahren bekannt, in zahlreichen Studien nachgewiesen und wäre in einer zweiminütigen Recherche auch von einem SPIEGEL-Journalisten herauszufinden gewesen.

Aber wer will sich schon von Fakten eine aufrüttelnde Geschichte mit dem Titel "Meine zweite Geburt" kaputtmachen lassen?

Laureys selbst lässt inzwischen ebenfalls starke Zweifel daran durchblicken, dass die "Gestützte Kommunikation" wirklich funktioniert und rudert zurück:
Dat is een debat waarmee ik het veel moeilijker heb', zegt Laureys. 'Ik ben zelf een scepticus en dat soort gefaciliteerde communicatie heeft terecht nog een slechte reputatie. Ik sta daar ook buiten, ik heb Rom daar nooit toe aangezet. Dit moet verder onderzocht worden
Das sei eine Debatte, mit der er sich sehr schwer tue. Er sei selbst ein Skeptiker und diese Kommunikationsform habe zu Recht "noch einen schlechten Ruf". Er stünde da außen vor und habe Rom auch nicht auf dieses Verfahren angesetzt. Das müsse weiter untersucht werden.
--

Update, 4.12.: Die "Welt" legt in ihrer Online-Ausgabe noch einmal zweimal nach.

Sollte noch jemand Restzweifel daran gehabt haben, dass die Interviews mit Rom Houben ausschließlich der Fantasie seiner "Stützerin" entspringen, dann sei auf folgende interessante Beobachtungen hingewiesen: Die "Stützerin" zeigt sich in einem auf Niederländisch/Flämisch geführten Interview, das weitgehend ungeschnitten vorliegt, schon über "seine" Pointen amüsiert, als sie mit dem Eintippen der ersten Buchstaben der jeweiligen Scherze beginnt.

Die "Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften" (GWUP) veröffentlicht dazu eine ausführliche Abhandlung über den Stand der Erkenntnisse bei der "Gestützten Kommunikation".

Auf meine E-Mail an Manfred Dworschak vom Mittwoch, in der ich ihn u.a. gefragt habe, ob er selber noch an seine Geschichte glaubt, und wie der SPIEGEL nun mit dieser Ente umgehen würde, habe ich bislang noch keine Antwort erhalten.

Das fundamentalchristliche US-Magazin "World", in dem als Titelgeschichte "Intelligent Design" als Alternative zur Evolutionstheorie präsentiert wird, zeigt sich unterdessen von den vom SPIEGEL veröffentlichten Houben-Zitaten überaus angetan. (www.worldmag.com/articles/16184)
 
[Journalismus]
Autor: hockeystick   2009-11-30   Link   (8 KommentareIhr Kommentar  



 

Zweifel an Wachkoma-Geschichte (Update 14)

Die Medien überschlagen sich seit Tagen bei der Berichterstattung über Rom Houben, der 23 Jahre lang bei vollem Bewusstsein fälschlicherweise für einen Wachkoma-Patienten gehalten worden sein soll.

Nun werden im Internet kritische und sehr ernstzunehmende Stimmen laut, darunter James Randi, die die ganze Geschichte für einen Hoax halten, vielleicht mit der Absicht dahinter, im Nachgang auch finanziell von dem Medienrummel zu profitieren.

Skeptiker halten das Verfahren der "Gestützten Kommunikation" (facilitated communication) mittels einer Hilfsperson, über das Rom Houben mit seiner Umgebung kommunizieren soll, für ausgesprochen fragwürdig. Videos des Vorgangs sollen darüberhinaus den Eindruck vermitteln, dass die Äußerungen von Rom Houben alleine der Fantasie der Hilfsperson entspringen.

Das Blog Plazeboalarm hat mehrere interessante Quellen zusammengestellt.
--

Update: Im Internet-Magazin Wired meldet auch ein Bioethik-Experte Zweifel an:
Any time facilitated communication of any sort is involved, red flags fly.

Update 2: Der Ausgangspunkt für die weltweite Berichterstattung über den Fall scheint eine Exklusivstory im aktuellen "SPIEGEL" zu sein.
Mit Hilfe einer Sprachtherapeutin, die hinter ihm steht und seine Hand stützt, kann Rom auf einer Bildschirmtastatur schreiben.

Update 3: Vermeintlicher Wachkoma-Patient plant Buch über sein Schicksal. Wäre das nicht vielleicht was für den DuMont-Verlag?

Update 4: Die Videos sprechen eigentlich für sich. Im Spiegel-Video führt die "Sprachtherapeutin" den Finger von Rom Houben rasend schnell über die Tastatur, während seine Augen geschlossen sind. Im CNN-Interview sind seine Augen zwar geöffnet, sein Blick aber nicht auf die Tastatur gerichtet (gut zu sehen z.B. ab 2:08).

Update 5: Im Interview mit CBS tippt Rom Houbens "Sprachtherapeutin" mit Hilfe seines Fingers einen 6 Zeilen langen Text fehlerfrei ein, während seine Augen geschlossen sind. (via)

Update 6: Auch in einem weitgehend ungeschnittenen Interview auf Flämisch wirkt das Prozedere nicht wesentlich überzeugender.

Update 7: Ich zitiere zum Abschluss James Randi:
This is yet another obvious example of abysmal, practiced, purposeful ignorance by medical personnel
füge hinzu: "and journalists" und habe für meinen Teil genug von dieser Geschichte gesehen.

Update 8, 26.11.: Aus einem Blog der New York Times:
Now, just four days after his remarkable story was first reported in the media, and he was shown giving a round of interviews to television journalists — typing out remarks on a special keyboard his family says he can operate with the help of a caregiver — Mr. Houben has been introduced to a new phenomenon: Internet fact-checkers.

Update 9: Der Arzt, der diese Geschichte ja ganz offenbar über den SPIEGEL lanciert hat und dann die Kamerateams aus aller Welt in einer langen Schlange zu "Interviewterminen" am Patienten vorbeigeführt hat, Steven Laureys, hat immerhin Humor:
Laureys's team is in the process of producing a scientific study validating the controversial practice. He refused to discuss it in the media, saying he will follow the classical route of scientific peer reviews and publication in specialized journals before making it public to the world at large.
Hallo, liebe Journalisten, tock tock, jemand zu Hause?

Update 10, 27.11.: Die belgische Zeitung "De Standaard" berichtet - vermutlich als erstes Printmedium - kritisch über den Fall. Laureys zeigt sich dünnhäutig:
Dokter Steven Laureys, die ontdekte dat Rom Houben bij bewustzijn was, heeft geen zin om die discussie te voeren. ‘Het is geen kwestie van geloven, het is een kwestie van medische feiten', zegt hij. ‘De scans bewijzen dat zijn hersenactiviteit volledig intact is. Als dat de mensen niet kan overtuigen... Over de vorm van communicatie spreek ik me niet uit.'
Mein Flämisch ist verbesserungsfähig, aber Laureys hat offenbar "keine Lust", diese Diskussion zu führen, weil diese nicht eine Frage von Glauben sei, sondern eine Frage von medizinischen Fakten. Die Scans würden beweisen, dass Houbens Hirnaktivität "vollständig intakt" sei. Dass das die Menschen nicht überzeugen könne... Über die Kommunikationsform möchte er nicht sprechen.

Was für eine traurige Farce.

Update 11: Nach meinem Eindruck basieren die zahllosen Medienberichte über die angeblich unzähligen falsch diagnostizierten Wachkomapatienten ("30 Prozent", "bis zu 43 Prozent", "die Hälfte"!), die im Zusammenhang mit diesem Fall durch die Presse gegangen sind, und die den Angehörigen solcher Patienten schlaflose Nächte bereitet haben dürften, nahezu ausschließlich auf unbelegten Behauptungen von dieser Figur, Laureys.

[Edit: Es gibt wohl mindestens eine weitere Forschungsgruppe, die von ähnlichen Zahlen spricht. Aus dem SpOn-Artikel:
Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Boris Kotchoubey von der Universität Tübingen hat gemeinsam mit Kollegen Betroffene mehrfach genauer untersucht. Der Befund: 25 bis 30 Prozent der Diagnosen sind falsch.
Was genau eine "falsche" Diagnose ist, wäre da natürlich noch zu prüfen. (Danke, Marcus)]

Update 12: Laureys tat sich bislang offenbar schwer mit der Finanzierung seiner Forschungen:
In Belgium, Laureys reported difficulty in finding money to support his work. Adrian Owen, a senior scientist at the MRC Cognition and Brain Sciences Unit in Cambridge, UK, said that his fMRI studies of consciousness disorders were “chronically underfunded” compared with his imaging research on Parkinson's disease, for which it was “generally possible to get money”. [...]
One reason why studies of MCS and PVS patients receive inadequate funding, said Giacino, is therapeutic nihilism, which is the “idea that these are people who are beyond help”. Laureys blamed the word 'vegetative', noting that comparing patients to a vegetable implied that they “will never get out of this [condition]”.
Hätte er einen Fall wie Houben nicht gehabt, dann hätte er ihn vielleicht erfinden müssen.

Update 13: Laureys gibt ein Interview. Seine Äußerungen bleiben vage, er zieht sich bei der Beurteilung von Houbens Zustand auf seine Eindrücke von den Hirnscans zurück und geht nicht auf die angezweifelte Qualität der "Gestützten Kommunikation" ein. Auch von der angeblichen Ja/Nein-Kommunikation mit Houben, von der an anderer Stelle noch zu lesen war, will er jetzt nichts mehr wissen:
Did you ever communicate with him in any other way?

He has undergone a very extensive medical and neurological assessment – but as his physician I cannot tell you more. I am in a difficult position: do you want me to put his medical record on the internet, or show the videos we made for his assessment? I don't think you would like it if I put results of your IQ test on the internet.
Was für ein rücksichtsvoller Arzt. Die Fernsehteams winkt er der Reihe nach durch Houbens Zimmer. Aber ein schlichtes "ja" oder "nein" als Antwort auf diese einfache Frage ist aus Rücksicht auf die Privatsphäre des Patienten nicht drin.

Update 14, 28.11.: Auch in den deutschen Medien regen sich erste Zweifel. Als erstes am Start ist "RP-Online" mIt einer ganz kurzen Meldung. Auch in der "Welt Online" findet sich ein Stück, sogar mit dem Zitat eines Charité-Professors, der das Spektakel ebenfalls nicht glauben mag. Puristen mag dabei der Hinweis fehlen, dass die "Welt" diese SPIEGEL-Ente ebenfalls weiterverbreitet hat. Natürlich ist das Märchen auch bei der "Welt Online" nach wie vor ohne entsprechenden Hinweis im Netz zu finden.
 
[Journalismus]
Autor: hockeystick   2009-11-25   Link   (12 KommentareIhr Kommentar  



 

Schweinegrippenjournalismus

Die Pro7-Nachrichten wie auch die Zeitungen und das Online-Angebot Der Westen der WAZ-Mediengruppe hatten vor zwei Wochen eine sensationelle Story aufgespürt. Sie beginnt so:
Die Diagnose "Schweinegrippe" kam per Telefon. Denn sein Arzt verweigerte Rüdiger Alt den Hausbesuch. Weil er sich ausgegrenzt fühlt, demonstriert er nun mit fünf anderen Grippekranken in Köln. Sie fordern normalen Umgang mit der Krankheit.

Bei dem diskriminierten "Schweinegrippe"-Patienten "Rüdiger Alt", der in dem Artikel und auch in dem Beitrag in den Pro7-Nachrichten ausführlich zu Wort kommt, handelte es sich in Wahrheit um den kerngesunden Komiker Jan Böhmermann, seit neuestem in Diensten der "Harald-Schmidt-Show". Die Geschichte erinnert an das jüngste Bluewater-Medienskandälchen.

Während die offizielle Auflösung erst gestern abend in der Harald-Schmidt-Show erfolgte, blieb der Hinweis eines Kommentators unter dem Artikel auf "DerWesten" zwei Wochen lang von der Redaktion ungelesen. Dieser schrieb bereits am Nachmittag des Erscheinens des Online-Artikels:
Vorsicht Panikmache!
Ich hab diesen "Rüdiger Alt" gerade bei ProSieben News gesehen mit ähnlicher Berichterstattung. Bei dieser Person handelt es sich allerdings um Jan Böhmermann, ein recht berühmter Komödiant vom WDR. Der führt gerne mal ein paar Reporter aufs Glatteis, er hat z.B. mal verkleidet eine Pressekonferenz des "ersten türkischen Kölner-Karnevalsverein" gegeben und am nächsten Tag stand die Schlagzeile in vielen Zeitungen und lief im Fernsehen.

Auch die neuen Kommentare von Harald-Schmidt-Fans haben bislang keine Wirkung gezeigt. Der Artikel ist immer noch unverändert online.

Update, 11:40: Mittlerweile wurde der Artikel mit einem entsprechenden Hinweis versehen. In einem ergänzenden Kommentar heißt es:
@ all,

Herr Böhmernann hat uns tatsächlich ergolgreich reingelegt. Auslöser der Geschichte war die Ankündigung der Demo in Köln. Das schien uns so obskur, dass wir mal prüfen wollten, welcher Irre dahinter steckt. Eindruck nach unserem Interview: "Rüdiger Alts" Geschichte ist schrill - er hat sie aber glaubhaft rübergebracht. Das gilt ebenso für den 2. Kranken, den wir in der Sache kontaktierten. Eine Gegenrecherche beim Arbeitgeber war natürlich nicht möglich. Und die Demo (das Demochen) hat dann ja auch stattgefunden. Fazit: Man konnte die Geschichte bringen oder beerdigen. Wir haben versucht, sie möglichst sachlich zu halten - auch als Beleg für die seltsamen Auswüchse der Schweinegrippenpanik.
Man hätte sie beerdigen sollen, wie wir jetzt wissen. Wir entschuldigen uns bei den Usern.
Alles in allem war es aber 'ne herrlich subversive Guerilla-Aktion.

Die Redaktion

 
[Journalismus]
Autor: hockeystick   2009-09-18   Link   (3 KommentareIhr Kommentar  



 

Traumberuf Medizinjournalist (XVI)

Die FAZ am Sonntag beleuchtet noch einmal den Fall der Kopfprämien von Kliniken an niedergelassene Ärzte: Geben und Nehmen in der Praxis. Nicht ohne sich selbst zu loben: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte den Fall recherchiert und als Erste über den Missstand berichtet.

Eigentlich ein Tauerspiel für die Medien. Praktiken im Gesundheitswesen an der Grenze zur Korruption, seit Jahren, flächendeckend, bei Experten ein offenes Geheimnis, von den Betroffenen und Verbänden nicht beschönigt oder verleugnet, sind für Journalisten ein erstaunliches Aha-Erlebnis. Zu den Details erfährt der Leser auch eine Woche nach der "Aufdeckung" nichts. Dabei gäbe es über die Bemühungen der Kliniken um die "Einweiser" und die Ausgestaltung der "Nachsorgeverträge" sicher eine Menge interessantes zu berichten.

Das ist so etwa auf dem Niveau von Sandra Maischberger, die auf der Pressekonferenz zu ihrer Dokumentation bekannte, sie habe unzählige Sendungen zum Thema Gesundheitspolitik moderiert, aber selbst ihr sei der Gemeinsame Bundesausschuss nicht geläufig gewesen.
 
[Journalismus]
Autor: strappato   2009-09-06   Link   (3 KommentareIhr Kommentar  



 

Titelhuberei

Bares gegen Doktor-Titel

Doktortitel-Verkauf: Professoren unter Korruptionsverdacht

Verkaufte Doktortitel - 100 Hochschullehrer unter Korruptionsverdacht

usw., usw., usw.

Liebe Journalisten, jetzt probieren wir es mal gemeinsam. Alle mitsprechen:

Der Dr. ist ein akademischer Grad und kein Titel.

Titel werden in Deutschland nur durch den Bundespräsidenten verliehen (§2 Abs. 1 des Gesetzes über Titel, Orden und Ehrenzeichen), soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist.
 
[Journalismus]
Autor: strappato   2009-08-24   Link   (10 KommentareIhr Kommentar  



 

Medizinjournalismus mit Anspruch und unterstützenden Massnahmen

Im deutschen Medizinjournalismus nahm ein Skandal Anlauf und wollte nicht so recht aus dem Startblock kommen. Zu gross ist die Angst, ein Dopingsystem aufzudecken. In der Hoffung, wenn alle ruhig bleiben, nicht um Aufmerksamkeit sprinten, es keine Fragen gibt.

Ein ehemaliger Verantwortlicher in einer Redaktion eines Fachmedium hat in einen Blog-Kommentar geäussert, dass Artikel von einem in dessen Marktsegment führenden Unternehmen quasi gekauft worden sind. Der Urheber zog den Kommentar zurück, das Unternehmen bestreitet den Vorwurf in E-Mails. Die Behauptung sei nachweislich falsch, diffamierend und geschäftsschädigend. Bloss keine Aufmerksamkeit. Jedoch ist der Kommentar in der Welt. Er wurde gelesen, weitergegeben und registriert.

Es würde nur bestätigen, was schon längst in der Öffentlichkeit bekannt und zum Klassiker in der pharmakritischen Berichterstattung geworden ist: Teile der Medizinpresse, ob Fach- oder Publikumsmedien sind käuflich und Werkzeuge der Pharma-PR. Im Übrigen nicht anders als in anderen Bereichen des Journalismus, ob Reise-, Musik-, oder Auto-.

Wenn Urteile zementiert werden, ist der schnelle Ausweg verbaut. Der kommentarfreudige Journalist versuchte es mit einer Erklärung an die lieben Kollegen. Nun sollte seine Kritik nur die ein "bisschen zu viel Hofberichterstattung" treffen. Also die kritiklose Veröffentlichung von Informationen im Interesse eines Unternehmens. Die im Fokus stehende Fachzeitung sei so seriös ist wie viele andere Medien und nicht weniger unseriös. Offen bleibt, ob die mangelnde journalistische Sorgfaltspflicht aus Unfähigkeit der Journalisten und Redaktion resultiert, oder Ergebnis der Pflege der Medienlandschaft durch die derart Begünstigten ist - oder beides. Im Grunde müssig, dies weiter zu diskutieren, wenn niemand das Rennen eröffnen will.

Entscheidend sind die Folgen. Unstrittig ist, dass Medizinjournalismus eine besondere Verantwortung gegenüber den Bürgern hat. Falsche Information kann im Extremfall tödlich enden. Ebenso muss die Tatsache akzeptiert werden, dass es in der Medizin selten absolute Wahrheit gibt. Obwohl dies für die vehementen Verfechtern der echten Wissenschaft gegen die Quacksalber der Komplementärmedizin ein unerträglicher Zustand ist. Das eröffnet viel Platz für Interpretationen und ist eine Herausforderung für den Anspruch an Qualität. Diesen können die Medien nicht einlösen. Selbst wenn sie es wollten - die ökonomischen Zwänge der Verlage aussen vor gelassen.

Ein Medizinjournalist sollte für eine objektive Berichterstattung die neuen Studiendaten kritisch beleuchten, die Therapiealternativen benennen, sie in ihrem Evidenzgrad und ihrer Indikation bewerten, potentielle finanzielle Auswirkungen auf das Gesundheitsystem im Auge behalten, Interessenskonflikte der Autoren und Unternehmen berücksichtigen, ... und alles auf knackige und für die jeweilige Zielgruppe verständliche 6000 Zeichen bringen. Es gibt wenige Experten, die das schaffen, und diese arbeiten nicht für das karge Honorar eines Fachjournalisten.

Inhaltliche Komplexität und der schnelle Wandel medizinischer Erkenntnisse haben in der Medizin zu einer immer weitergehenden Spezialisierung geführt. Es gibt je nach Weiterbildungsordnung in Deutschland rund 60 Gebiete, Facharzt- und Schwerpunktkompetenzen sowie 38 Fachgebiete in denen fakultative Weiterbildungen für ein Spezialthema absolviert werden können. Seit 2004 schreibt das SGB V die Pflicht zur fachlichen Fortbildung für alle an der vertragsärztlichen/-psychotherapeutischen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Psychologen verbindlich vor. Dagegen langt für einen Job als Medizinjournalist ein Diplom in Biologie, um mal eine der häufigsten Grundqualifikationen der Zunft zu nennen.

Selbst an den Mitteln zur Information fehlt es. Die wenigsten Medizinjournalisten, gerade bei den Freien, haben ständigen Zugang zu den Originalartikeln der Fachzeitschriften. Was nebenbei nicht weiter auffällt, da es auch an den Wissen um die Bewertung und kritische Interpretation der Studien mangelt. Drei Stunden Kurs "EbM-Basics für JournalistInnen" von Prof. Ingrid Mühlhauser auf der 10. Jahrestagung des Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin sind ein Tropfen auf den heissen Stein.

Medizinjournalismus. Ein ungleicher Wettkampf der nicht zu schaffen ist, ohne "unterstützende Massnahmen" der Pharmaunternehmen und anderer Helfer aus der Gesundheitswirtschaft.
 
[Journalismus]
Autor: strappato   2009-08-06   Link   (4 KommentareIhr Kommentar  



 

Mit Globuli gegen blutigen Stuhl

Scienceblogger Christian Reinboth vermag sich noch über die Empfehlungen der "Ärzte Zeitung" zu wundern, die "eigentlich einen guten Ruf" habe. Dabei bringt er das Kunststück fertig, im gleichen Text auch noch den Begriff "Verantwortungsbewusstsein" unterzubringen.

Das Missverständnis könnte darin bestehen, dass er die "Ärzte Zeitung" für ein journalistisches Medium hält.
 
[Journalismus]
Autor: hockeystick   2009-07-17   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Wirkt Bloggen?

Heute geht eine dpa-Meldung durch die Presse (nachzulesen beispielsweise bei n-tv), in der über eine positiv verlaufene Studie mit einem Medikament berichtet wird. Alles ist eigentlich wie immer, auch das Ende des Artikels:
Das habe erstmals ein Team um Professor Per Aspenberg gezeigt, teilte die schwedische Universität Linköping mit. [...] Die Forscher präsentieren ihre Arbeit im "Journal of Bone and Mineral Research". Sie weisen darauf hin, dass dieser ersten Studie weitere folgen müssten.

Nur eins ist neu. Nach meinen Kenntnisstand zum allerersten Mal überhaupt in der Geschichte des deutschen Medizinjournalismus findet sich in einem Artikel über eine Medikamentenstudie das, was in seriösen US-Zeitungen seit Jahren selbstverständlich ist: Ein Satz, in dem explizit auf die finanzielle Interessenlage hingewiesen wird.
Die Studie wurde finanziert vom Pharmakonzern Eli Lilly, für den Aspenberg auch als Berater arbeitet.

Na also. War das jetzt wirklich so schlimm?
 
[Journalismus]
Autor: hockeystick   2009-07-17   Link   (2 KommentareIhr Kommentar  



 



Stationäre Aufnahme












Letzte Beiträge und Kommentare /  Frohe Weihnachten  (strappato)  /  OH!!!  (kelef)  /  Frohe Weihnachten  (strappato)  /  Subjektive Wahrnehmung  (casadelmar)  /  Sehr interessante Sichtweise,...  (akademischer ghostwriter)  
Zum Kommentieren bitte einloggen

Metainfos über das blog. Kontakt: strappato.

search noeszett Add to Technorati Favorites rss