Wendigkeit

Nun ist bewiesen, was sowieso jeder als Resultat der Koalitionsverhandlungen zur Gesundheitsreform erwartet: Die Bürgerprämie, ein Kompromiss zwischen der Bürgerversicherung und dem Pauschalprämienmodell, ist für die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Deutschland am besten geeignet.

Es soll das Ergebnis einer Dissertation sein, in der auf Basis der Daten des Sozio-oekonomischen Panels verschiedene Modelle simuliert wurden.

Damit zeigt der Autor der Dissertation eine dem schnellen Geschäft in der Gesundheitspolitik angemessene Reaktion. So hat er in seiner im Dezember 2004 veröffentlichten Dissertation noch die Bürgerversicherung und das Pauschalprämienmodell (Kopfpauschale) als politisch durchsetzbar bezeichnet - an eine grosse Koalition hatte vor gut einem Jahr niemand gedacht. Keiner setzte auf die SPD bei der nächsten Bundestagswahl nur einen Pfifferling. Beinahe zwangsläufig das Fazit der Arbeit: Fasst man die genannten Aspekte zusammen, so scheint das Pauschalprämienmodell eine tragfähige und zukunftsweisende Reformalternative für die finanzielle Absicherung einer bedarfsgrechten Gesundheitsversorgung für die Gesamtbevölkerung zu sein. Der Autor empfahl in seinem 300-Seiten Werk eine Ergänzung durch den Aufbau einer dauerhaften Kapitaldeckung - wie von der FDP gefordert - und nicht etwa durch eine Bürgerversicherung.

Nun wo sich die Verhältnisse geändert haben, wird vom Autor der Kompromiss zwischen der von der SPD favorisierten Bürgerversicherung und dem von grossen Teilen der CDU gewünschten Pauschalprämienmodell als besonders vorteilhaft angepriesen und als Ergebnis der Dissertation verkauft. Ein Glücksfall, dass in der Simulationsrechnung alle vier untersuchten Reformmodelle (Bürgerversicherung, Steuerfinanzierung, privatwirtschaftliche Absicherung, Pauschalprämienmodell) unter dem Aspekt der fiskalischen Ergiebigkeit positiv bewertet wurden.

Mit dieser Wendigkeit hat sich der junge Wissenschaftler für höhere Aufgaben in der Gesundheitspolitikberatung qualifiziert.

Ach ja: Vielleicht gibt es ja sogar demnächst einen Zwang zum Haustier. Denn wer ein Haustier hat, geht seltener zum Arzt. Ein weiterer wissenschaftlicher Meilenstein, der auch auf dem Misthaufen des Nachwuchswissenschaftlers gewachsen ist.
 
[Reform]
Autor: strappato   2006-01-24   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Nutzenbewertung

Einen Einblick in die Problematik die Wirtschaftlichkeits- und Nutzenbewertung von Arzneimitteln bietet ein Artikel in der DZKF: Festbeträge - der Fall Atorvastatin. Gezeigt wird auch sehr anschaulich die Arbeitsweise des Gemeinsamen Bundesaussschusses (G-BA) und des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG).
 
[Arzneimittel]
Autor: strappato   2006-01-24   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Gelobtes Land

Mal eine Meldung aus dem gelobten Land. Alle unzufriedenen deutschen Ärzte drohen ja damit, dorthin auszuwandern: Grossbritannien.

Zwei von drei Krankenhäusern in Großbritannien haben nicht genug Geld, um alle Stationen am Laufen zu halten.. Der Untersuchung zufolge fehlen den staatlichen Kliniken in diesem Jahr mindestens 1,2 Milliarden Pfund (rund 1,95 Milliarden Euro). Rund 4.000 Arbeitsplätze – darunter hunderte Stellen von Krankenschwestern, -pflegern und Ärzten – sind ebenfalls in Gefahr.

Dazu muss man wissen, dass in UK alle Fachärzte in Kliniken sind. In den Praxen tun nur Allgemeinärzte Dienst. Nicht nur die stationäre Versorgung ist also in Gefahr, sondern die fachärztliche insgesamt.

Im Detail (Artikel leider online nur gegen Bezahlung): Die Ausgaben des NHS haben sich in den letzten 5 Jahren verdoppelt. Davon ging die Hälfte in die Arztgehälter, was die Ärzte des NHS zu den Bestverdienern weltweit machte (+50% Lohnzuwachs). Im Vorwahlkampf 2005 wurde versucht, die Wartelisten auf Facharztbesuche und Operationen mit allen Mitteln zu reduzieren. Nicht ohne Erfolg. Mit unter 800.000 Patienten ist dies die kürzeste Liste seit 1998. Kaum jemand wartet länger als 6 Monate auf einen operativen Eingriff. Die Kehrseite des Erfolgs ist, dass nun die Rechnungen kommen und die Kliniken grosse Löcher im Budget haben.

Die Steigerungsraten bei den Arzneimittelkosten sind auch in UK ein grosses Problem. Aber während in Deutschland Arzneimittel einen Anteil von 15,7% an allen GKV-Ausgaben haben, sind es im NHS nur 12,2%.

Die Lösungen aus aus der Krise sind jedoch unterschiedlich. In Deutschland geht der Weg eher zu mehr staatlichen Regulierungen, in Grossbritannien soll mehr Wettbewerb das Gesundheitswesen flottmachen. So können seit Anfang des Jahres die Versicherten zum ersten Mal selbst eine Klinik aussuchen in der sie operiert werden wollen. Es wird erwartet, dass dies jedoch zur Schliessung kleinerer Krankenhäuser führen wird. Auch in Grossbritannien brechen Reformzeiten an. Ob dort die deutschen Ärzte glücklicher werden?
 
[Ausland]
Autor: strappato   2006-01-23   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Seehofers Reformen

Seehofer schaltet sich in die Reformdiskussion ein und droht erstmal: Der Minister kündigte an, er werde als CSU-Parteivize und Chef der Christlich-Sozialen Arbeitnehmerschaft an der Meinungsbildung für die Gesundheitsreform mitwirken.

Seinen mangelnden Realitätssinn kann man dieser Äusserung entnehmen: Die Reform müsse in den nächsten Monaten „organisch hinter verschlossenen Türen“ entwickelt werden.

Dabei denkt er wehmütig an seinen grössten Erfolg zurück: Als er 1992 das Amt des Gesundheitsministers von der völlig überforderten Gerda Hasselfeld übernahm, ordnete er erst einmal eine Klausur an. Über Wochen wurde eine Gesundheitsreform verhandelt, ohne dass die Öffentlichkeit informiert wurde. Am Ende stand das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG).

Im Rückblick war es der Anfang der Misere, vor der wir heute stehen. Die damals beschlossen umfangreichen Eingriffe des Staates in das Gesundheitsssystem haben zu der Bürokratie und Unzufriedenheit geführt:
  • Budgetierung der Ausgaben für Krankenhausleistungen, ärztliche und zahnärztliche Behandlung, Arznei- und Heilmittel sowie der Verwaltungskosten der Krankenkassen und die Anbindung der einzelnen Budgets an die Einnahmeentwicklung der Krankenkassen
  • Die steigende Zuzahlungen der Versicherten bei Zahnersatz, Arznei- und Heilmitteln und eine nach Packungsgröße gestaffelte Zuzahlungen für Medikamente
  • Der Ausschluss kieferorthopädischer Behandlungen für Erwachsene und bestimmter Zahnersatz-Versorgungsformen aus dem GKV-Leistungskatalog
  • Die Steuerung der Arztzahlen durch verschärfte Bedarfsplanung und Zulassungsbeschränkungen
  • Eine Organisationsreform der Krankenkassen: u.a. Einführung des Wettbewerbs durch freie Kassenwahl für alle Versicherten und neue Entscheidungsstrukturen in der gemeinsamen Selbstverwaltung und die Bürokratie, die dazu gehört, mit Risikostrukturausgleich und Bundesausschuss.
  • Die Verzahnung der ambulanten und stationären Versorgung durch ambulantes Operieren
  • Die Aufhebung des Selbstkostendeckungsprinzips im Krankenhaus und Einführung eines neuen Entgeltsystems mit Fallpauschalen und Sonderentgelten.
Mittlerweile sieht das auch Horst Seehofer so und jetzt verteidigt er Ärzte und Pharmaunternehmen gegen den regulierenden Überschwang der Bundesgesundheitsminsterin: Die nächste Gesundheitsreform muss nach Ansicht von CSU-Vize und Verbraucherschutzminister Horst Seehofer wieder einen freien und motivierten Arztberuf schaffen.

Nur: Hinter verschlossenen Türen wird dies nicht abzuhandeln sein.

Dazu noch ein Linktipp für alle, die sich grundsätzlich über die Interessen und Konflikte informieren wollen: Chancen einer Gesundheitsreform in der Verhandlungsdemokratie
 
[Reform]
Autor: strappato   2006-01-23   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Panikstimmung

So langsam brodelt die Panik: FDA warns about fake bird-flu drugs. Obwohl in Amerika - im Gegensatz zu Europa - noch kein Fall dieser Zoonose aufgetreten ist.

In Deutschland haben die Bundesländer noch nicht wie von der WHO empfohlen, für 20% der Bevölkerung Neuraminidasehemmer eingelagert, für den Fall einer Grippe-Pandemie - wenn der Erreger der Vogelgrippe zu einem von Menschen auf Menschen übertragbaren Virus mutiert.

Man darf gespannt sein, wie im Ernstfall in Deutschland die Panik unter Kontrolle gebracht werden soll: Fest steht, daß bei einer Pandemie Virenhemmer und Impfstoffe nur in begrenztem Maß zur Verfügung ständen. Um eine öffentliche Entscheidung, in welcher Reihenfolge unterschiedliche Teile der Bevölkerung versorgt werden sollten, haben sich Bund und Länder bisher gedrückt. Um die Zahl der Toten zu minimieren, müßten Ältere Priorität bekommen, heißt es im Nationalen Pandemieplan, um den Staat zu schützen, Ordnungskräfte und Politiker. Solle der wirtschaftliche Schaden gering gehalten werden, müßten Kinder Vorrang erhalten. Ein klassisches Triage-Problem bahnt sich an.

Mein Tipp: Vorräte anlegen. Im Ernstfall bricht das öffentliche Leben zusammmen. Aber da stösst man wieder an ein Dilemma: Wie soll man propagieren, dass die Bevölkerung Vorräte anlegen soll, ohne dass Panikreaktionen ausgelöst werden - die auch angesichts der derzeitigen Lage vollkommen ungerechtfertigt wären.
 
[Public Health]
Autor: strappato   2006-01-23   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Professionell an die Wand

Ist noch aus dem letzen Jahr, aber beispielhaft:

Betriebswirt/in für Management im Gesundheitswesen - ein neues Karriereangebot für Arzt- und Tierarzthelfer/innen und Zahnmedizinische Fachangestellte - so die Pressemitteilung des Bundesinstituts für Berufsbildung.

Neue Versorgungsstrukturen, die Verlagerung vom stationären in den ambulanten Pflegebereich, eine verstärkte Herausbildung von Praxisverbünden sowie ein modernes Praxismanagement stellen veränderte Qualifikationsanforderungen auch an die Praxis-Helfer/innen. In den Weiterbildungsangeboten für Arzt- und Tierarzthelfer/innen sowie für Zahnmedizinische Fachangestellte wurden diese veränderten Qualifikationsanforderungen bisher kaum berücksichtigt.

Ich kann nicht glauben, dass es unter den über 130 Studiengängen und unzähligen Weiterbildungsangeboten keine Qualifizierung für Arzthelferinnen gibt. Wie wäre es damit, zufällig gefunden, da auf der Liste ganz oben: Kontaktstudiengang Gesundheits- und Sozialmanagement?

Seit einigen Jahren schiessen Ausbildungen und Weiterbildungsangebote im Gesundheitswesen wie Pilze aus dem Boden. Das alles wird unter "Gesundheitswirtschaft" subsumiert, welches ein schrecklicher Begriff ist, der von denselben Technokraten geprägt wurde, die morgen die Hafenwirtschaft fördern und übermorgen der Entsorgungswirtschaft auf die Sprünge helfen wollen. Patienten sind aber, anders als See- oder Abfall-Container, kein Logistik-Problem.

Dahinter steckt nicht so sehr der Bedarf, als vielmehr die Verzweifelung. Gesundheit gilt als einer der wenigen Wachstumsektoren. Googel spuckt unter Gesundheitswirtschaft über 319.000 Treffer auf deutsch aus. Entsorgungswirtschaft bringt es nur auf 129.000. Dementsprechend wollen sich die Kommunen als "Gesundheitsregionen" etablieren. Wer sich zu Gesundheitsregion informieren will, kann zwischen 40.000 google-Treffern wählen.

Allein die Weiterbildungsstudiengänge bilden konservativ geschätzt mehr als 1500 Absolventen jährlich aus. Hat dies unserem Gesundheitswesen bisher genützt, oder muss man froh sein, dass diese Experten-Armada dem deutschen Gesundheitswesen nicht sonderlich geschadet hat?
 
[Gesundheitswirtschaft]
Autor: strappato   2006-01-22   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Zurückrudern

Die Proteste der Kassenärzte zeigen Wirkung: Nach einer Meldung der Berliner Zeitung soll der Gesetzentwurf nachgebessert werden. Die Grenze, ab der finanzielle Abschläge in Kauf genommen werden müssen, soll von 5-10% über den vereinbarten Tagestherapiekosten, die sich bei wirtschaftlicher Verordnungsweise ergeben, auf 10-15% angehoben werden.

Dagegen haben die Patienten keine Lobby: Die drohenden Mehrkosten für Patienten durch die Absenkung der Festbeträge soll durch einen Wegfall der gesetzlichen Zuzahlung abgemildert werden, wenn die Medikamente deutlich unter dem Festbetrag liegen. Jedoch ist hier nur ein Versuch in einer Testregion angedacht. Überhaupt scheint dieser Punkt im Gesetzentwurf nicht so richtig durchdacht. Auf die ungeklärten Auswirkungen der Rabattvereinbarungen habe ich schon hingewiesen.

Interessant ist, dass überlegt wird, wie Krankenhäuser zu einer wirtschaftlichen Verordnungsweise gezwungen werden können. Das Gesetz behandelt ja bisher nur den Bereich der niedergelassenen Ärzte. Wenn am Ende Krankenhäuser trotz DRGs nicht mehr frei in der Wahl der Medikamente sind, dann wäre dies ein weiterer Schritt zum staatsreglementierten Zuteilungssystem.
 
[Arzneimittel]
Autor: strappato   2006-01-22   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 



Stationäre Aufnahme












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