Abbott schickt bei Facebook HIV-Infizierten vor

Der Pharmakonzern Abbott betreibt unter "garten-der-lueste.com" eine Website zum Thema HIV/Aids. Disease Awareness nennt man solche Angebote, die im Graubereich zwischen Information und Werbung angesiedelt sind. Praktisch jedes Pharmaunternehmen lässt sich von Marketingagenturen für umsatzrelevante Indikationen oder neue Medikamente eine Informationsseite für Patienten unter einer markanten URL erstellen. Dabei ist verstärkt zu beobachten, dass Social Media Elemente eingebaut werden und dass die Grenzen, die das Heilmittelwerbegesetz vorgibt, immer wieder neu ausgetestet werden.

Der Blogger Ulrich Würdemann weist in seinem Blog ondamaris in Zusammenhang mit dem "Garten der Lüste" auf ein bemerkenswertes Pharmamarketing hin.

Auf Garten der Lüste bloggt Desmond. Ein 29-jähriger HIV-Infizierter erzählt aus seinem Leben. Sehr aufwändig realisiert. Das Urteil über die Authentizität, oder in welchem Umfang die Medienagentur die Texte möglicherweise einem Kommunikationsziel anpasst, bleibt dem Leser überlassen.

Der Bereich des transparenten Marketings wird aber in jedem Fall verlassen, wenn Desmond in die Social Media Welt eintaucht.

Auf der Facebookseite zu "Desmonds Blog" fehlt jede Kennzeichnung, dass es hier nicht alleine um ein Blog eines Betroffenen geht, sondern um ein Angebot, dass die Kommunikationsagentur "Allround Team" für Abbott betreut und auf die auch die domains "desmonds-blog.de" und "garten-der-lueste.com" registriert sind.
Hallo, ich bin Desmond. In meinem Blog spreche ich Klartext über mich und mein Leben mit HIV. Das hilft mir mit der Infektion umzugehen. Und es ist mir wichtig, andere mit dem Thema HIV zu erreichen. Der Blog erscheint auf www.desmonds-blog.de

Neben der nicht gekennzeichneten Werbung für einen Pharmakonzern, fragt Ulrich Würdemann zu Recht:
Wird hier das Image eines ‘Blogs eines HIV-Positiven’ benutzt, instrumentalisiert, um über immer neue Wege direkten Zugang zu Patienten zu bekommen?

Das wäre dann der Doppelschlag gegen ethisches Pharmamarketing.
 
[Pharmamarketing]
Autor: strappato   2010-07-11   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 


 

Reformstau in Österreichs Gesundheitswesen

Dezeit geht es in Deutschland mal wieder um eine Gesundheitsreform. Der unbeteiligte Betrachter kann leicht den den Eindruck bekommen, die Diskussion um Gesundheitspolitik ist ein essentieller Teil des deutschen Selbstverständnis und sowas wie eine institutionalisierte Revolution. Dabei gäbe es Länder, die eine solch intensive gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Fehlern ihres Gesundheitssystems nötiger hätten.

Ein Kandidat dafür: Österreich. Ein bisher unveröffentlichter Bericht des Rechnungshofes fasst die bekannten, aber bisher von der Politik ignorierten Probleme des österreichischen Gesundheitswesens zusammen. Die Analyse, die im Rahmen des im Regierungsprogramm verankerten Programm "AG Verwaltung Neu" erarbeitet worden ist, zeichnet ein desaströses Bild. Das System ist geprägt von Ineffizienzen, Doppelgleisigkeiten, Intransparenz, Zielkonflikten, Steuerungsdefizite und mangelnder Qualitätsssicherung.

Hier Dokument des Grauens: problemanalyse gesundheit und pflege (pdf, 1,455 KB)

Nicht überraschend, dass die rot-schwarze Bundesrregierung diese Analyse nur unter der Hand verteilt. Es ist das Resultat von jahrzehntelanger Misswirtschaft, an der einer der beiden Koalitionsparteien stets in Regierungsverantwortung beteiligt war.

Also Herr Minister, wenden Sie sich vertrauensvoll an die erfahrenen deutschen Reformer und ihre Forschungsinstitute, Berater und Experten. Damit verschaffen sie ihrem Land den überfälligen Reformschub und den deutschen Patienten eine Atempause, die zum Nachdenken über die Zukunft der Gesundheitsversorgung genutzt werden kann.
 
[Oesterreich]
Autor: strappato   2010-07-10   Link   (3 KommentareIhr Kommentar  



 

Über Pharmamarketing im "Deutschen Ärzteblatt"

Das "Deutsche Ärzteblatt" ist mit einer wöchentlichen Auflage von rund 400.000 Exemplaren das mit großem Abstand meistverbreitete Fachmedium für die Deutsche Ärzteschaft und das offizielle Organ der Bundesärztekammer. Während sich das Blatt mit einem Bein auf den mühsamen und steinigen Weg gemacht hat, sich durch zunehmende Transparenz und inhaltliche Qualität als ernstzunehmende medizinische Fachzeitschrift zu etablieren, steckt es mit dem anderen Bein hüfthoch im streng nach gewissenlosem Kaufjournalismus riechenden Sumpf des Pharmamarketings.

Die nicht immer von Erfolg gekrönten aber glaubwürdigen Bemühungen um Transparenz im Verantwortungsbereich der medizinisch-wissenschaftlichen Redaktion des "Deutschen Ärzteblatts" haben wir hier im Blog streckenweise kritisch begleitet und gewürdigt.

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille.

Ich erlaube mir, ein wenig auszuholen: In medizinischen Fachmedien findet sich mit erheblicher Verbreitung eine Stilform, die in jedem anderen Bereich des Journalismus - selbst in gleichermaßen PR-durchseuchten Themenfeldern wie Auto und Reise - von der Leserschaft ob ihres durchsichtigen und dummdreisten Schleichwerbecharakters mit hysterischen Lachanfällen und spontanen Abonnementskündigungen quittiert würde. Meist sind diese Artikel als eine Art Kongressbericht getarnt.

Viele Ärzte scheinen sie jedoch zu schätzen und ernst zu nehmen, diese erstaunlichen Artikel. Ihr Gegenstand ist der Inhalt von Pressekonferenzen oder Werbeveranstaltungen ("Satelliten-Symposien") von Pharmakonzernen, auf denen bestimmte Medikamente und deren Wunderwirkungen von akademischen Experten im Staatsdienst angepriesen wurden. Diese Experten sind der Auffassung, dass ihre karge Professorenbesoldung nicht genügt, um einen adäquaten Lebensstandard zu erlangen, und verdienen sich deshalb als "Meinungsbildner", vulgo "Mietmaul", den einen oder anderen Euro dazu. Auf diese Weise werden die Marketingbotschaften der Pharmaindustrie den Ärzten bekannt gemacht, die deren Produkte zum Wohle der Konzerne letztlich verschreiben müssen.

Solche Artikel tragen Titel wie "Rofecoxib: Analgetisch wirksam und protektiv für den Magen" oder "Kardiovaskuläre Erkrankungen: Ganzheizliche Risikointervention" und enthalten Sätze wie "Mit dem spezifischen COX-2-Inhibitor Rofecoxib (Vioxx®) stehe jetzt eine Substanz zur Verfügung, deren Nebenwirkungsrate gegenüber den NSAR verringert sei, so Prof. Henning Zeidler (Hannover)." oder "Untersuchungen an über 5 000 Arthrose-Patienten im Alter bis 80 Jahre, die Rofecoxib zum Teil länger als ein Jahr einnehmen mussten, haben die niedrige Nebenwirkungsrate bestätigt.". Oder auch: "Die effektivste Möglichkeit, das LDL-Cholesterin noch mehr zu senken, ist die duale Therapie mit Simvastatin und dem Cholesterin-Resorptionshemmer Ezetimib (Inegy®)." Die "Ärzte Zeitung" etwa ist randvoll mit solchen Artikeln. Der frühere Chefredakteur dieses Blättchens bezeichnete solcherlei Berichterstattung einmal ganz offen als "bezahlte Redaktion", wovon er sich später nur zögerlich und wenig glaubwürdig distanzierte.

Die wahllos herausgegriffenen Beispiele betreffen das inzwischen vom Markt genommene Medikament Vioxx®, das nach Schätzungen eines Experten der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA allein in den USA rund 56.000 Menschen das Leben gekostet hat, und den noch auf dem Markt befindlichen aber höchst umstrittenen Cholesterinsenker Ezetimib (Inegy®/Ezetrol®), von dem verschiedene Studienergebnisse nahelegen, dass er mehr Schaden anrichtet als nützt. Die Vioxx®-Artikel sind aus den Jahren 2000/2001. Der Inegy®-Artikel ist in der vorvergangenen Woche erschienen.

Die Beispiele stammen allerdings, und das soll das Thema dieses Artikels sein, nicht aus einer windig daherkommenden Postille nach Art der "Ärzte Zeitung", sondern aus dem seriös erscheinenden "Deutschen Ärzteblatt", einer Zeitschrift, die jeder bei einer Ärztekammer gemeldete Arzt in Deutschland zwangsweise in seinem Briefkasten vorfindet. Hochoffiziell herausgegeben von der Bundesärztekammer (Arbeitsgemeinschaft der deutschen Ärztekammern) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.


Anlass für mich, per E-Mail folgende Fragen an das "Deutsche Ärzteblatt" zu richten:
1. Handelt es sich bei der Rubrik "Pharma" (Anm. d. Red.: früher hieß die einschlägige Rubrik noch "VARIA - Aus Unternehmen") um ein redaktionelles Angebot oder um bezahlte Werbung?

2. Falls es ein redaktionelles Angebot ist:

- Wer bestimmt die Auswahl der Themen?

- Warum sind die Artikel stets frei von kritischen Einschätzungen zu den besprochenen Produkten, auch wenn diese höchst umstritten sind?

- Warum machen sich die Autoren dieser Artikel die Meinung der zitierten Experten häufig unkritisch zu eigen?

- Warum werden die Interessenkonflikte der zitierten Experten nicht benannt?

- Wer bezahlt die Anreise der Autoren dieser Artikel zu den jeweiligen Veranstaltungen?

- Wer bezahlt das Honorar für die Autoren?

- Warum erscheinen keine Leserbriefe zu diesen Artikeln?

- Gibt es eine direkte oder indirekte Gegenleistung der Hersteller dieser Produkte, etwa in Form von geschalteten Anzeigen? Wenn nein: Mit welchen Maßnahmen stellen Sie sicher, dass dies nicht doch in der Praxis so gehandhabt wird?

3. Falls es Werbung ist:

- Warum fehlt stets das Wort "Anzeige"?

- Warum ist das Layout dieser Anzeigen nicht von dem der redaktionellen Seiten zu unterscheiden?

- Halten Sie es für denkbar, dass diese Anzeigen von einem Großteil der Leser als redaktionelles Angebot wahrgenommen werden?

4. In jedem Fall: Halten Sie diese Rubrik presserechtlich für zulässig, und wenn ja, mit welcher Begründung?

Der Chefredakteur des "Deutschen Ärzteblatts", Heinz Stüwe, möchte diese Fragen gegenüber einem Pseudonym nicht beantworten. Vielleicht ist das aber auch gar nicht notwendig.
 
[Medien]
Autor: hockeystick   2010-07-09   Link   (10 KommentareIhr Kommentar  



 

Zuckerbrause für scienceblogs.com

Mit Blogs Geld zu verdienen scheint selbst in den USA nicht so leicht zu sein. Seed Media will nach vier Jahren endlich einen Return sehen und bereichert sein wissenschaftliches Blog-Portal ScienceBlogs um ein PR-Blog. Unter Welcome to Food Frontiers lässt scienceblogs.com den Zuckerbrause- und Fastfoodkonzern PepsiCo ein ernährungswissenschaftliches Blog schreiben. Natürlich erscheint das Blog im Medicine & Health Channel des Portals.
As part of this partnership, we'll hear from a wide range of experts on how the company is developing products rooted in rigorous, science-based nutrition standards to offer consumers more wholesome and enjoyable foods and beverages.

Ein genialer PR-Zug in einer Zeit, in der in den USA die US-Regierung sich dem Kampf gegen Übergewicht und die Diabetes-Epidemie verschrieben hat und die Softdrink-, Fastfood- und Nahrungsmittelundustrie unter Druck bringt.


Zu Recht wird von Scienceblogs.com-Bloggern kritisiert, dass PepsiCo die durch die Blogger über Jahre aufgebaute Reputation des Portals zur Lobbyarbeit nutzt.
But what makes me most angry - and hurts personally - is that ScienceBlogs would not have been able to offer such an attractive package to PepsiCo if not for the reputation and pageviews built by the bloggers who have written here over the last four-and-a-half years.

Einige bloggende Wissenschaftler wollen nicht gemeinsam mit einem PepsiCo-PR-Blog auf der Plattform erscheinen und haben ihren Abschied erklärt.

In Deutschland wird scienceblogs.de von Glam Media betrieben, einem Netzwerk das Blogs und Online-Medien zu Mode, Gesundheit und Lifestyle vereint. Ob die sich gegen einen finanziell potenten Partner aus der Nahrungsmittel- oder Kosmetikindustrie sperren würden?

Die Blogger wohl nicht. Denn die sonst oft über-engagierten Blogger von scienceblogs.de können die Aufregung ihrer US-Kollegen nicht so recht nachvollziehen. Dort herrscht tatsächlich die Auffassung vor, dass die PepsiCo-Wissenschaftler ihre Blogpostings nicht mit der Marketing- und PR-Abteilung des Konzerns abstimmen müssten.#

PZ Myers, der als Biologe an der University of Minnesota lehrt und ein populärer Scienceblogs-Autor ist, stellt klar:
They aren't going to be doing any scienceblogging — this is straight-up commercial propaganda. You won't be seeing much criticism of Pepsico corporate policies, or the bad nutritional habits spread by cheap fast food, or even any behind-the-scenes stories about the lives of Pepsico employees that paints a picture of the place as anything less than Edenesque. Do you think any of the 'bloggers' will express any controversial opinions that might annoy any potential customers?

Dass dies keine böse Ahnung eines kritischen Wissenschaftlers ist, zeigt die glatte PR-Stellungnahme eines PepsiCo-Sprechers zu den Vorgängen:
We believe one way to achieve meaningful progress in addressing global health challenges is for food and beverage companies to have an open dialogue with the scientific and health community. We've partnered with ScienceBlogs so we can listen, share ideas, and work together. Based on some of the feedback we've seen, we've already taken steps to clarify that we are a sponsor of the site and we look forward to engaging in continued discussion with the ScienceBlogs community.

--
Update:
Das Blog gab es bisher unbeachtet auf der Pepsico-Seite. Wenn die Postings keine PR sein sollen, was dann?

Noch ein Update:
ScienceBlogs.com hat das Blog abgeschaltet.
 
[Blogs]
Autor: strappato   2010-07-08   Link   (12 KommentareIhr Kommentar  



 

Medizinjournalismus bei der Tagung von "netzwerk recherche"

Am Freitag und Samstag findet im NDR-Konferenzzentrum in Hamburg die netzwerk recherche Jahreskonferenz 2010 unter dem Motto "Fakten für Fiktionen – Wenn Experten die Wirklichkeit dran glauben lassen" statt.

Zwei Veranstaltungen sind mir besonders aufgefallen, weil sie auch Themen hier im Blog waren:

Peter Sawicki wird als Betroffener über das Thema "Vom Medienliebling zur unerwünschten Person" referieren. Moderiert von Markus Grill, der im Spiegel beschrieben hatte, wie systematisch und geplant die Ablösung des IQWiG-Leiters betrieben worden war.

Eine Veranstaltung bestreitet Gerd Antes, Leiter des Deutschen Cochrane-Zentrums, über den Regividerm-Skandal unter dem Titel "Heilung unerwünscht“ – ein PR-Coup für eine Wundersalbe?"

Und dann gibt es noch Stefan Niggemeier, der den Journalisten was über "Blogger als Medienkontrolleure" erzählt.
 
[Journalismus]
Autor: strappato   2010-07-08   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 



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