Studie oder Werbung? Jetzt noch schwieriger.

Bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen in medizinischen Fachzeitschriften empfiehlt es sich, vor dem Studium des Abstracts einen Blick auf die finanziellen Verbindungen der Autoren zu werfen. Als Faustregel gilt: Je größer die finanziellen Abhängigkeiten, desto weniger spiegelt das Abstract die klinisch relevanten Resultate der Studie wieder.

Leser des renommierten British Medical Journal stehen nun vor einer zusätzlichen Herausforderung: Bei einzelnen Artikeln fehlt die Offenlegung der Interessenkonflikte vollständig. Bei näherem Hinsehen sind diese Artikel allerdings im "Header" durch einen hellblauen Schriftzug "Advertisement Feature" als Anzeige gekennzeichnet, die als wissenschaftlicher Aufsatz getarnt ist.

Der nächste Schritt wäre es nun, solche "Trojanischen Pferde" als ehrfurchtgebietende Quellenangabe zu nutzen. Wie man eine solche Anzeige korrekt zitiert, zeigen bereits die Autoren eines empörten Leserbriefs:
[1] Strugala V, Avis J, Jolliffe IG, Johnstone LM, Dettmar PW. The role for liquid alginate suspension (Gaviscon Advance®) in the protection of the oesophagus against damage by bile in the refluxate. BMJ 22 March 2008; Volume 336.

[2] Strugala V, Avis J, Jolliffe IG, Johnstone LM, Dettmar PW. The role for liquid alginate suspension (Gaviscon Advance®) in the protection of the oesophagus against damage by pepsin in the refluxate. BMJ 12 April 2008; Volume 336

 
[Pharmamarketing]
Autor: hockeystick   2008-06-05   Link   (2 KommentareIhr Kommentar  



 

Millionär durch Qui tam

In den USA hat sich der Apothekenkonzern Walgreen zur Zahlung von 35 Millionen Dollar bereit erklärt. Vorher hatten schon zwei andere Apothekenketten ähnliche Vergleiche in Prozessen mit US-Bundesstaaten geschlossen. Die Apotheken hatten Patienten, bei denen die Medikamente über das staatliche Medicaid-Programm finanziert werden, die jeweils teurere Darreichungsform eines Arzneimittels verkauft, z.b. Kapseln statt Tabletten.

Interessant ist, dass der Apotheker, der als Whistleblower die Behörden auf den Betrug aufmerksam gemacht hat, 5 Millionen Dollar von der Summe erhält. Nennt man Qui tam, eine Kurzform von "Qui tam pro domino rege quam pro se ipso in hac parte sequitur", was etwa bedeutet "wer in dieser Sache für den König klagt, wie für sich selbst" und ist ein Prinzip, dass im Mittelalter in England entwickelt worden ist. In den USA darf jemand, der einen vermutlich illegalen Vorgang nicht aus Geldgier oder Rachsucht, sondern in gutem Glauben öffentlich macht, unter Umständen sogar, wenn er von Staats wegen zu einer Aussage unter Eid verpflichtet wird, vom Staat in der anschliessenden Auseinandersetzung mit seinem Arbeitgeber nicht alleine gelassen werden. Whistleblower können durch so genannte Qui-tam-Verfahren im Namen des Staates Schadenersatz einklagen.

Ob diese Regelung in Europa möglicherweise erfolgreich in die Rechtsordnung integriert werden kann und so die Korruptionsbekämpfung erleichtert, ist unter Experten strittig.
 
[Ausland]
Autor: strappato   2008-06-05   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

NDR strahlt Pharma-Schleichwerbung weiter aus (Update)

Seit Monaten ist bekannt, dass Pharmakonzerne für einen fünfstelligen Euro-Betrag bei der Gestaltung der Drehbücher der ARD-Serie "In aller Freundschaft" mitwirken durften. Erst in der vergangenen Woche gab es dafür Rügen des "PR-Rats".

Für den NDR kein Grund, auf die Ausstrahlung der Schleichwerbung zu verzichten. Kostprobe:
In der Sachsenklinik herrscht Hochstimmung. Die Forschungsergebnisse für COX-2-Blocker, die bei Arthrose helfen sollen, sind so vielversprechend, dass das Medikament bald zugelassen werden kann. Doch Simoni bittet die Mitarbeiter noch um Stillschweigen - schließlich geht es auch um viel Geld.

Sendetermin: NDR Fernsehen, heute, Donnerstag, 5. Juni 2008 um 12:15 Uhr (bis 13:00 Uhr)

Kleines Quiz für unsere Leser: Wer hat das Drehbuch dieser Folge wohl bezahlt?

Update 11.6.: Hier geht die Tragikomödie weiter.
 
[ARD-Schleichwerbung]
Autor: hockeystick   2008-06-05   Link   (3 KommentareIhr Kommentar  



 

Monetäre Risikoabwägung

Ich bin überzeugt: Wenn eine Firma einen Blockbuster mit gefährlichen Nebenwirkungen hat, rechnet sie durch, wie teuer es käme, wenn sie mit den Informationen herausrücken würde respektive wie teuer allfällige Prozesse würden. Es geht da um viel Geld.
Peter Gøtzsche, Direktor des Nordic Cochrane Center, in einem Interview im Tagesanzeiger aus Zürich.
 
[Ethik & Monetik]
Autor: strappato   2008-06-05   Link   (2 KommentareIhr Kommentar  



 

FDA untersucht Sicherheit von TNF-Blockern

Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat mitgeteilt, dass sie derzeit eine Überprüfung der Sicherheit von TNF-Blockern durchführt. Die Behörde untersucht den Verdacht auf eine mögliche Verbindung zwischen einer Therapie bei Kindern und Jugendlichen und das Auftreten von Krebserkrankungen.

Tumornekrosefaktor-Blocker sind gentechnisch hergestellte Wirkstoffe (Handelsnamen: Remicade®, Enbrel®, Humira®), sogenannte "Biologicals". Sie werden unter anderem bei der Behandlung der juvenilen chronischen Arthritis oder von Morbus Crohn eingesetzt.

Die Fachinformationen in Deutschland für Remicade weisen darauf hin, dass seltene Post-Marketing-Fälle eines Non-Hodgkin-Lymphoms, das hepatosplenale T-Zell-Lymphom, bei jugendlichen oder jungen erwachsenen Patienten mit M. Crohn, die mit REMICADE behandelt wurden, beschrieben wurden.
 
[Biologicals]
Autor: strappato   2008-06-05   Link   (2 KommentareIhr Kommentar  



 

Physiologische Mechanismen und klinische Relevanz

Focus Online: Ezetimib - Wie Cholesterinhemmer wirken.

Leider bleibt Focus die klinisch relevante Antwort schuldig.

Die lautet: Gar nicht.

Der feine Unterschied zwischen physiologischen Mechanismen und klinischer Relevanz.
Focus bietet seinen Lesern wichtige Hintergrundinformationen, die sie in ihrem privaten und beruflichen Alltag umsetzen können - Fakten mit Nutzwert, die immer die unmittelbare Zukunft betreffen.


--
Was übrigens auch den Präsidentschaftskanditaten der Republikaner John McCain dazu bewogen hat, auf Rat seines Arztes von der Ezetimib/Simvastatin-Kombination Vytorin® (in Deutschland Inegy®) auf ein Simvastatin-Monopräparat zu wechseln. (nein nicht der Focus-Artikel, sondern das mit der klinischen Relevanz).
 
[Ezetrol]
Autor: strappato   2008-06-04   Link   (1 KommentarIhr Kommentar  



 

Ein ahnungsloser Journalist und fünf Todesfälle

Die Nachrichtenagenturen Reuters und AFP verbreiten aktuell die Meldung, dass in Großbritannien mittlerweile fünf Todesfälle im Zusammenhang mit der Einnahme der Abspeckpille Acomplia® gemeldet wurden.

Nicht vorstellen kann sich der Autor der AFP-Meldung, dass genau dieses Medikament in den USA, anders als in Europa, gar nicht erst zugelassen wurde. Es müsse sich dabei ja wohl um ein anderes Mittel gehandelt haben:
Einem ähnlichen Abspeckmittel, das Sanofi-Aventis auf den USA-Markt bringen wollte, verweigerte die Gesundheitsbehörde FDA im vergangenen Jahr die Zulassung.

 
[Journalismus]
Autor: hockeystick   2008-06-04   Link   (6 KommentareIhr Kommentar  



 

Wenig "gutes" Cholesterin schadet nichts

Pfizers Torcetrapib-Desaster im Dezember 2006 wurde von vielen Beobachtern als überraschender Rückschlag dargestellt. Warum bloß erhöhte sich das Sterberisiko der Probanden, wo doch Torcetrapib erfolgreich das "gute" HDL-Cholesterin gesteigert hatte?

Tatsächlich stand die Grundannahme, eine Steigerung des HDL-Cholesterins würde das Herzinfarktrisiko reduzieren, von Anfang an auf einer ausgesprochen dürren wissenschaftlichen Basis. Vorhandene Korrelationen zwischen dem Herzinfarktrisiko und dem HDL-Spiegel lassen sich größtenteils durch die Korrelation des HDL-Spiegels mit anderen "Risikofaktoren" erklären (z.B. Alter, Geschlecht, körperliche Aktivität). Hinweise auf eine Kausalbeziehung fehlen fast vollständig.

Eine heute im JAMA veröffentlichte Studie ist ein weiterer Schlag ins Gesicht der Cholesterinspiegeloptimierer. Die Studie untersuchte, ob das Risiko für ischämische Herzkrankheiten bei solchen Patienten erhöht ist, die Träger bestimmter genetischer Mutationen sind. Träger dieser Mutationen haben einen deutlich reduzierten HDL-Spiegel, was nach den Lehren der interessierten Kreise rund um die Lipid-Liga mit einem deutlich erhöhten Risiko für Herzinfarkte einher gehen müsste.

Ergebnis der Studie: Der mit den Mutationen verbundene deutlich erniedrigte HDL-Spiegel hat keinerlei Einfluss auf das Risiko für ischämische Herzkrankheiten. Schlechte Nachrichten für Merck &Co und Roche, die aktuell noch Medikamente zur Steigerung des HDL-Spiegels in der Entwicklung haben:
There is really no evidence that this method is going to work, Anne Tybjaerg-Hansen, a study and clinical biochemistry researcher at Copenhagen University Hospital, tells Bloomberg. This theory has been around for a long time, but this study just doesnt support it.

--
Wie sehr die Pharmaindustrie die Idee der HDL-Beeinflussung liebgewonnen hat, zeigt auch der eigens zu Ehren dieser Hypothese geschaffene und mit 15.000 Euro dotierte "Merck-HDL-Forschungspreis" von Merck Serono: 2007, 2008. Hintergrund des Engagements ist natürlich das hauseigene Niacin-Präparat Niaspan®.
 
[Wissenschaft]
Autor: hockeystick   2008-06-04   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Botox auf hoher See

Wie erholsam eine Kreuzfahrt ist, werden demnächst die Daheimgeblieben hautnah sehen. Die "Norwegian Cruise Line" will auf ihren Schiffen die Behandlung mit Botox anbieten.

Könnte ein Trend sein. Der Neubau "Fantasia" der Rederei "MSC", die ab Dezember in See sticht, soll auch mit "verjüngenden Kosmetikbehandlungen (inklusive Botox)" die Passagieren beglücken.
 
[Botox]
Autor: strappato   2008-06-03   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Kein Platz für Takeda-Biber in Europa

Der Zulassungsausschuss der EMEA - Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) - hat sich gegen die Zulassung des Wirkstoffes Ramelteon als Schlafmittel pdf-Dateiausgesprochen. Remelteon wird in den USA unter dem Handelsnamen Rozerem® von Takeda vertrieben und ist dort durch aggressives Marketing aufgefallen.

Die preisgekrönte Kampagne setzte auf einen Biber... - ... und kostete 100 Millionen Dollar, bei einen ROI von 0,5, was bedeutet, dass für jeden Dollar Umsatz, zwei ins Marketing gesteckt worden sind. Desaströs.

In Europa wird der Biber nicht für lustige Träume werben können - nicht nur aufgrund der Werbebeschränkungen. Der EMEA-Aussschuss sah keinen Vorteil durch Rozerem®.
The CHMP was concerned that the company had not demonstrated the effectiveness of Ramelteon, which was measured considering only one aspect of insomnia, the time to fall asleep. In addition, in only one of the three studies in a natural setting there was a difference in time to fall asleep between patients taking Ramelteon and those taking placebo, and this difference was considered too small to be relevant. When other aspects of sleep were considered, Ramelteon did not have any effect.

Wenn sonst die Entscheidungen der EMEA oft auf Kritik stossen, hier scheint die Empfehlung im Sinne der Patienten und der Krankenkassen zu sein.
 
[Arzneimittel]
Autor: strappato   2008-06-03   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Pfizer mit dem Rücken zur Wand

Der Pfizer-Aktienkurs ist auf den tiefsten Stand seit über zehn Jahren gefallen. Wie angekündigt, hat Pfizer in den USA eine PR- und Werbekampagne gestartet, um den Rückgang der Champix®/Chantix®-Verschreibungszahlen zu bremsen.

Hier die ganzseitige Anzeige in der New York Times.
 
[Champix]
Autor: hockeystick   2008-06-03   Link   (1 KommentarIhr Kommentar  



 

Rauchfrei durchstarten mit Champix®

Susan says her husband, Michael Marino, dropped her off at her doctor's office in Bradenton, Thursday morning, and never returned to pick her up.

At the time, Michael had their eight-year-old daughter Lena, with him in the car. Police found the two early Saturday morning off I-4 near Orlando.

According to police, Michael appeared disoriented. Their daughter, Lena, was okay. Susan says the computer on the car indicated he had driven for 44 hours and logged 1,800 miles, spending more than $500 on gas.

She says Michael has been taking Chantix for the past two weeks. A few days after he started the medication to quit smoking, some of his coworkers reportedly say he started acting strange and didn't seem like himself.
(Quelle)
 
[Champix]
Autor: hockeystick   2008-06-03   Link   (3 KommentareIhr Kommentar  



 



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